Hofnarren, Hofdeppen und arme Schweine

TRIER. Alle Macht den "heuschrecklichen Hofnarren": Triers größte Karnevalsgesellschaft zeigt dem Establishment mal so richtig, wo der närrische Hammer hängt und zelebriert in der Europahalle ein glanzvolles Programm, das garantiert keiner aus dem Fernsehen kennt.

 Zwei Heuschreck-Spezialitäten: Die außergewöhnliche Bühnen-Deko von Johannes Kaschenbach und der stimmgewaltige Chor.Foto: Josef Tietzen

Zwei Heuschreck-Spezialitäten: Die außergewöhnliche Bühnen-Deko von Johannes Kaschenbach und der stimmgewaltige Chor.Foto: Josef Tietzen

Stadtväter und -mütter sowiesonstige Promis müssen sich auf was gefasst machen, wenn sie dieSitzungen der KG Heuschreck besuchen. Dort feiert die respektloseBasis-Anarchie fröhliche Urständ, und das auf überwiegend hohemNiveau. Das Ganze wird im Sinne einer psychosozialen Heranführung geschickt eingefädelt. Erst zieht "Protokoller" Stephan Morbach den Hochadel durch den Kakao ("Prinz Charles schafft es nicht, sich bis zur Sperrstunde seine Camilla schön zu saufen"), ehe die regionale High Society ins Visier gerät. "Hofklatschtante" Lino Ley zeigt selbst gegenüber Bischof Reinhard Marx keine Gnade. Der Oberhirte solle lieber die Benefiz-Küchen-Party der Schröers besuchen, statt wie im vergangenen Oktober die umstrittene Heiligsprechung des Opus-Dei-Gründers Escrivá.

Einziger Wermutstropfen: Der kleine Mann ist krank

Einer subtilen Form volksfreundlicher Lästerei frönen zwei Bütt-Neulinge: Dieter Lintz, Chef der Lokalredaktion, und Jung-Kollege Alexander Houben geben das Elferrats-Empfangskomitee ("Wir sind hier die Hof-Deppen"), das imaginäre Besucher zu begrüßen und viel Zeit zum Philosophieren hat. "Wenn heute das Dach der Europahalle einstürzt, dann werden jede Menge Planstellen für Besserverdienende frei", sinniert Lintz. Nicht unter den Opfern: Eintracht-Trainer Paul Linz, der nach zweijähriger Vorbereitung endlich zu Gast im Aktuellen Sportstudio sei. Ja, es habe ziemlich lange gedauert, bis das ZDF einen Simultanübersetzer finden konnte, der Linze-Pauls dialektischen Ausführungen dem Rest der Welt verständlich zu machen in der Lage sei.

"Das ärmste Schwein im Saal" ist schnell ausgemacht: Der Volksfreund -Redakteur, der über seinen eigenen Boss schreiben muss. Aber gottlob gibt es auch noch anderes Berichtens- und Lobenswertes: zum Beispiel den Heuschreck-Chor. Die Mannen um Stefan May (Leitung, Texte, Arrangements) präsentieren sich als die sympathischste "Gauklertruppe" westlich von Hermeskeil und wieder in Top-Form. Extraklasse: Thomas Frings als Jürgen W. Möllemann. Nicht mehr 18, sondern satte 80 Prozent sind das, was dem von Bodenhaftung befreiten Chef-Populisten vorschwebt.

Weniger spektakulär als Mölle- der Wollmann. Seinen mehrdeutigen "Muschi"-Song lässt Jürgen Wollmann in der Mottenkiste und verbreitet Lokalpatriotismus im Dreivierteltakt: "Meine Heimatstadt ist Treveris". Überhaupt grenzt sich das Bühnengeschehen spürbar ab vom Fernsehkarneval aus Trier, an dem der auf Exklusivität bedachte Heuschreck als einziger Verein nicht teilnahm.

Was aber nicht verhindert, dass diverse Pointen dennoch "déjà vu"-Gefühle aufkommen lassen. Die "Doof Nuss" (Klaus Baer) recycelt am laufenden Band und in unnachahmlicher Manier Uralt-Witze und hat dennoch (und vielleicht gerade deshalb) das 700-köpfige Publikum voll auf seiner Seite. "Ich wollte Millionär werden - genau wie mein Vater. Der wollte das auch immer." Das ist doch eine Rakete wert.

Darauf hat auch "Fischers Maathes" (Helmut Haag) ein Dauer-Abo, wenngleich seine feinsinnige Ironie diesmal viel Hintergrundwissen voraussetzt. Rainer Lübeck (Der Butler des Grafen von Heckhuscheid) kämpft tapfer gegen lange Leitungen an. Was bedeuten die 18 Kerzen auf der Torte? "Meine Frau feierte die 18. Volljährigkeit ihres Wintermantels."

Ein Mega-Gag entspringt unfreiwilliger Komik: Prinz Christoph I. von der City-Initiative gibt das Kommando zum "Dreifach donnernden Köln halaudi...". Schrecksekunde. Das prinzliche Haupt nimmt knallrote Färbung an, derweil im Auditorium brüllendes Gelächter ausbricht. Wohl im falschen Film gewesen, Majestät?

Der Rest eines kurzweiligen Abends: Heuschreck vom Besten. Die himmlisch gewandete Bloas (Helmut Leiendecker als Stadtpatron, die Musiker als "Engelchen") serviert zwei neue Stücke mit Klassiker-Potenzial ("Petrus"; "Eich brauchen kaan Diamanden") plus zwei stürmisch geforderte Zugaben. Und bei den Darbietungen der von Birgit Müller trainierten Garden und des Balletts bekommen nicht nur die Elferräte und Heuschreck-Präsident Gustl Thormeyer Stielaugen.

Zu den großen Gewinnern zählt auch Sitzungspräsident Harald Reusch: Er hat die schwierige Aufgabe, das Fehlen der erkrankten Galionsfigur "Der kleine Mann" (Hubert Ludwig) zu erklären. Das macht er so gut und originell, dass man sich fragt, warum er nicht schon früher in die Bütt gegangen ist.

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