Im Gefängnis Leben lernen

TRIER. Fünfeinhalb Jahre Haft - so lautet das Urteil für einen 23-jährigen Mann, das die Zweite Große Strafkammer des Landgerichts Trier gestern sprach. Er war in Bitburg an einer Prügelei beteiligt und hatte eine Bank in Zewen überfallen.

Er könnte Student sein, Verkäufer oder Beamter, der junge Mann auf der Anklagebank im Landgericht Trier: dunkles gepflegtes Haar, Brille, sonnengebräunte Haut, weißes Hemd, helle Sommerhose. Doch er ist "eine dissoziale Persönlichkeit". Ein Mensch, der nicht gelernt hat, sich den Regeln der Gesellschaft anzupassen. So steht es in einem Urteil, mit dem der 23-jährige schon einmal zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde. Es gibt mehrere dieser Urteile, die im Prozess gegen ihn verlesen werden. Urteile, die von der typischen Karriere einer "dissozialen Persönlichkeit" Zeugnis geben: Er hat Drogen in Holland gekauft, Autos in Prüm und Trier aufgebrochen. Er hat zwei Tankstellen in Trier und ein Geschäft in Mainz überfallen, bewaffnet mit gestohlener Gaspistole, Baseball-Schläger oder Beil. Er ist verurteilt worden, und hat meist noch in der Bewährungszeit die nächste Straftat verübt. Dass er nicht gelernt hat, Recht und Unrecht zu unterscheiden, liegt - auch da ist er ein Modellfall für Soziologen - offenbar in seiner Kindheit begründet. Sein Vater - Amerikaner - verlässt die Mutter früh, die sich mit einem weiteren Amerikaner einlässt. Die Familie wechselt den Wohnort im Kreis Trier-Saarburg mehrfach, zieht schließlich nach Amerika.Obdachlos und vom Vater misshandelt

Von seinem Stiefvater wird der Junge misshandelt, er lebt zeitweise auf der Straße. Später kommt die Familie zurück in die Region Trier, der junge Mann wohnt in einem verfallenden Gebäude auf einem Bahngelände. In gewissem Sinne ist er also selbst ein Opfer - die milden Urteile, die erfolglosen Versuche, ihn zu therapieren, zeugen davon. Doch letztlich ist er vor allem auch ein Täter, der am Fastnacht-Sonntag 2002 in Bitburg an einer heftigen Prügelei beteiligt ist und im März 2003 dafür sorgt, dass zwei Frauen zu Opfern werden. Am 24. März überfällt er die Volksbank-Filiale in Zewen, bedroht zwei Bankangestellte mit einem Küchenmesser. Die beiden Frauen haben Todesangst, wie eine von ihnen berichtet. Es fällt ihr schwer, den Angeklagten anzusehen. Noch heute haben sie und ihre Kollegin Angstgefühle, wenn ein unbekannter Kunde in die Bank kommt und sich seltsam verhält, ähnlich seltsam wie der Angeklagte. Der scheint damals in den Monaten zwischen der Bitburger Prügelei und dem Trierer Überfall, einmal mehr auf gutem Weg zu sein. Er geht zur Fremdenlegion nach Frankreich, flüchtet nach der Grundausbildung nach Dänemark, baut dort eine feste Beziehung auf, hat einen ordentlichen Job. Doch nach einer Reise zur Verwandtschaft nach Trier überfällt er aus unerfindlichen Gründen die Zewener Bank: unmaskiert, selbst am ganzen Leib zitternd und so dilettantisch, dass er eine Viertelstunde später gefasst wird, mitsamt der Beute von 8575 Euro. "Startkapital" habe er für die Rückreise nach Dänemark gebraucht, sagt er, ohne sich selbst so richtig zu glauben. Irgendwie, berichtet der geständige und reuige Sünder dann noch, hätten ihm die Gespräche mit dem Sozialarbeiter in der Strafanstalt gut getan. Der Mann, der es nicht schafft, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken, scheint fast erleichtert, dass ihm das dank der verhängten fünfeinhalbjährigen Haft nun abgenommen wird. Ein mildes Urteil. Ob das Gefängnis der richtige Ort ist, ein soziales Leben zu lernen, bleibt freilich offen.

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