In 1000 Kronen hängt gefährliches Totholz: Rund 50 Prozent der schadhaften Bäume bleiben unbearbeitet - Stadt ist überfordert

Trier · Der Ahorn, aus dem am 22. August ein Hunderte Kilo schwerer Ast gestürzt ist, ist kein Einzelfall: Rund 1000 Bäume im Stadtgebiet haben Totholz in der Krone, das längst hätte herausgeschnitten werden müssen. Die Stadt scheint mit dem Grünschnitt völlig überfordert.

 Der Trierer Stadtverwaltung ist die Baumpflege buchstäblich über den Kopf gewachsen. TV-Foto: Christiane Wolff

Der Trierer Stadtverwaltung ist die Baumpflege buchstäblich über den Kopf gewachsen. TV-Foto: Christiane Wolff

Foto: friedemann vetter (ve.), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Trier. Der morsche Stamm der alten Rosskastanie brach in Sekundenschnelle. Ihre Äste erschlugen eine 70-Jährige, einem Mann zertrümmerte das Geäst die Hüfte. Die Kinder einer Schulklasse konnten noch gerade so zur Seite springen.
Fast drei Jahre ist dieses tragische Unglück, das im Trierer Rautenstrauchpark passierte, nun her. Auch für die Stadtverwaltung ein traumatisches Erlebnis. Das Trierer Amtsgericht bestrafte nicht nur den zuständigen Mitarbeiter des Grünflächenamts wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung, sondern fand auch deutliche Kritik für dessen Vorgesetzte. "Eklatante Organisationsmängel" herrschten bei der Baumpflege in der Trierer Stadtverwaltung, schimpfte der Richter.

Die gibt es offenbar immer noch: Von den rund 2000 Bäumen, bei denen Kontrollen ergeben haben, dass ein Rückschnitt binnen der nächsten sechs Monate erforderlich ist, sind rund 1000 nicht in diesem vorgeschriebenen Zeitraum behandelt worden (siehe Extra). In ihren Kronen hängt immer noch Totholz im Geäst, das jederzeit herunterkrachen kann.

Dass so viele dringend notwendige Baumpflegearbeiten unerledigt sind, verwundert. Denn nach dem tödlichen Baumunglück im November 2012 herrschte im Rathaus Alarmstimmung: Alles sollte getan werden, damit sich ein solches Desaster nicht wiederholt. "Das Grünflächenamt hatte quasi freie Hand, um das Problem in den Griff zu bekommen, auch finanziell", berichtet ein Insider dem TV.

Um die städtischen Baumkolonnen zu entlasten, wurden die regelmäßigen, jährlichen Routinekontrollen und auch die eingehenderen Zweitkontrollen auffälliger Bäume 2012 an ein Privatunternehmen vergeben. Mehr als 600 000 Euro hat die Stadt dafür seitdem zusätzlich ausgegeben. Um die Kontrollen und die anschließenden Baumpflegearbeiten - die weiter die Mitarbeiter des Grünflächenamts übernehmen - zu koordinieren, stellte das Rathaus zudem einen studierten Baumexperten, einen sogenannten Arboristen, ein.

Den Rückstand aufzuarbeiten, ist bis heute trotzdem nicht gelungen.
Bewusst ist das der Verwaltung seit langem. Im Mai hatte die Partei Bündnis90/Die Grünen bei Triers neuem Baudezernenten Andreas Ludwig die Fakten angefragt und in der damaligen Sitzung des Bauausschusses auch eine dezidierte Antwort erhalten.

Warum hat der Dezernent nicht spätestens im Mai, als auf dem Tisch lag, dass 50 Prozent der schadhaften Bäume nicht bearbeitet werden können, Sofortmaßnahmen eingeleitet, etwa weitere Hilfe bei externen Gärtnerunternehmen geordert? "Ich dachte, dass wir im Laufe des Sommers den Überhang abarbeiten können", sucht Ludwig nach einer Erklärung. Ein Trugschluss.

Immerhin scheint die Sache mittlerweile auf dem richtigen Weg: Das Gutachten, wie die Baumpflege besser organisiert werden kann, hatte noch Ludwigs Vorgängerin Simone Kaes-Torchiani in Auftrag gegeben. Inzwischen liegt es der Rathausspitze vor. Im Herbst soll es im Bauausschuss beraten werden. "Mein Ziel ist es, dass wir die Baumkontrollen wieder selbst übernehmen und nicht weiter dem Privatunternehmen überlassen. Und dass wir eine zweite städtische Baumkolonne aufbauen, um den erforderlichen Rückschnitt stemmen zu können." Vier bis fünf zusätzliche Stellen müssten dafür geschaffen werden, schätzt Ludwig.

Nur Hälfte aller Bäume ist digital erfasst Meinung

Was ist denn da bitte los?
Das Grünflächenamt ist also bei 50 Prozent aller Bäume mit Totholz oder anderen Beschädigungen nicht in der Lage, diese lauernde Gefahr in der vorgeschriebenen Zeit zu beseitigen. Dabei hat das Thema seit dem tödlichen Baumsturz im November 2012 Priorität. Alle Kontrollarbeiten wurden ausgelagert, ein Baumexperte eingestellt. Trotzdem wächst die Sache dem Rathaus immer noch buchstäblich über den Kopf. Da fragt man sich, wie es vor diesen "Verbesserungen" um die Baumpflege in Trier bestellt gewesen ist? Obwohl, so richtig will man die Antwort darauf eigentich gar nicht wissen. Die Trierer dürften von dieser Bankrotterklärung aus dem Rathaus überrascht sein. So viel Nachlässigkeit bei einem so sensiblen Thema. Das lässt das Vertrauen in die Behörde und in deren Fürsorgepflicht gegenüber ihren Bürgern sinken. Für Unglücke ist niemand verantwortlich. Wer allerdings um Gefahren weiß, und diese ignoriert, der macht sich schuldig. c.wolff@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort