Individualismus statt Massenware

TRIER. Vor allem Poster und Kunstdrucke schmücken die bundesdeutschen Wohnzimmer – doch es geht auch anders: In so genannten "Artotheken" können sich die Besucher Gemälde, Druckgrafiken und Skulpturen ausleihen. Einzelstück statt Massenprodukt, lautet die Devise.

 Was passt am besten ins Wohnzimmer? Helga Hoffmann von der "Artothek" in der Trierer Tuchfabrik zeigt einer Kundin ein Acrylgemälde des Trierer Künstlers Christian Arnoldy mit dem Titel "Landschaft". TV-Foto: Kim-Björn Becker

Was passt am besten ins Wohnzimmer? Helga Hoffmann von der "Artothek" in der Trierer Tuchfabrik zeigt einer Kundin ein Acrylgemälde des Trierer Künstlers Christian Arnoldy mit dem Titel "Landschaft". TV-Foto: Kim-Björn Becker

Helga Hoffmann sitzt hinter dem Schreibtisch mit den zwei großen blauen Ordnern. Der Weg zur Kunst in den eigenen vier Wänden beginnt hier, im zweiten Stock der Trierer Tuchfabrik. "Wir haben ungefähr 20 feste Kunden, die regelmäßig vorbeikommen", sagt sie. Ärzte und Rechtsanwälte machen einen großen Teil aus, aber auch Kunstliebhaber und Individualisten. "Zur Auswahl stehen rund 250 Kunstwerke von vorwiegend regionalen Künstlern", erzählt Hoffmann. Und die Bilder und Skulpturen sollen auch nicht älter als drei Jahre sein - wer also einen Monet oder Renoir für die eigenen vier Wände sucht, wird hier wohl eher nicht fündig. In den zwei Ordnern sind alle Kunstwerke verzeichnet: Künstler, Jahr, Größe, Technik, Preis. Und eine Biografie des Künstlers mit Ausstellungsverzeichnis.In Katalogen blättern

Die Mindestleihfrist beträgt einen Monat, pro Kunstwerk und Monat werden sechs Euro berechnet. Es kann aber beliebig oft verlängert werden, solange niemand sonst Interesse an dem entsprechenden Kunstwerk hat - doch manchmal bleibt es nicht bei einer bloßen Leihgabe: "Manche Kunden wollen das eine oder andere Bild auch kaufen", sagt Gisela Sauer, Geschäftsführerin der Tufa. Neben 130 Kunstwerken, die Eigentum der Artothek sind, gibt es einen jährlich wechselnden Bestand von Leihgaben regionaler Künstler. "Ein Bezug zu Trier ist für uns immer wichtig", sagt Sauer. So passt zum Beispiel Christian Arnoldys "Landschaft in der Eifel", ein Ölgemälde aus dem Jahr 2002, perfekt ins regionale Konzept. Eine Pastellzeichnung mit dem Titel "Kaiserstraße" stammt von Thomas Brandscheidt, auch er ist ein Trierer Künstler. Aber auch Liebhaber abstrakter Malerei werden beispielsweise mit Elisabeth Elzers Acrylbildern "Farbenspiel" oder Annemarie Thieles "Horizont" fündig. In den Katalogen können die Kunden blättern und sich interessante Kunstwerke heraussuchen. Helga Hoffmann begleitet sie dann in einen separaten Raum, an dessen Eingangstür die kleine Aufschrift "Artothek" prangt. In großen Regalen steht dort der gesamte Bestand der Trierer Artothek, geordnet nach den Namen der Künstler. Das Angebot ausleihbarer Kunst ist dabei mitnichten ein Kind des 21. Jahrhunderts: "Die Idee der Artothek geht zurück auf den rumänischen Künstler Arthur Segal, der das Konzept ausleihbarer Kunst schon vor rund 80 Jahren entwickelt hat", erklärt Johannes Stahl, Vorsitzender des Deutschen Artothekenverbandes mit Sitz im schleswig-holsteinischen Eckernförde. Kunst sollte für jedermann zugänglich sein - und so bildete sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den späten 60er-Jahren eine zweite Artothekenbewegung heraus, beginnend in Berlin. Wie auch in Trier, waren die meisten Artotheken zunächst örtlichen Bibliotheken angegliedert - erst mit der Zeit erfolgte eine weit gehende Emanzipierung. "Derzeit gibt es rund 120 Artotheken in Deutschland und wir haben momentan viele Anfragen von Leuten, die neue Artotheken gründen wollen", sagt Stahl. In Rheinland-Pfalz ist der Artothekenbestand mit lediglich zwei Ausleihstätten in Trier und Landstuhl gering: "Im Bereich moderner Kunst ist Rheinland-Pfalz eher strukturschwach, es ist aber interessant, dass es dort sehr viele private Initiativen gibt." Für Stahl besteht das Klientel der Artothekenbesucher aus "neugierigen Menschen, die zunächst auf bekannte Motive setzen". Mit zunehmender Erfahrung würden die Kunden aber wählerischer und vor allem experimenteller: "Wir wissen ja, dass Farben unser Lebensumfeld maßgeblich beeinflussen", sagt Stahl, "insofern spielt es schon eine wichtige Rolle, welches Bild man sich an die Wand hängt."

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