Jedes Fähnchen ein Schicksal

TRIER. (kat) 3500 Fähnchen senden am Weltkindertag im Palastgarten eine Botschaft: jedes Fähnchen steht für ein Kind (bis15 Jahre) aus der Region Trier, das in Armut lebt. Lucia Sicali-Safari lebt mit ihren beiden Söhnen in Armut. Sie nutzte die Aktion des Trierer Kinderschutzbundes, um auf ihren täglichen Überlebenskampf aufmerksam zu machen.

Lucia Sicali-Safari steckt zwei Fähnchen in die Spielwiese des Palastgartens. Eins für ihren Achtjährigen und eins für ihren 15-jährigen Sohn. "Es muss endlich raus, ich kann das alles nicht mehr für mich behalten", sagt die allein Erziehende. Knapp 1000 Euro hat sie im Monat zur Verfügung. "Am Anfang des Monats ist schon fast alles weg", sagt die Triererin. Miete, Versicherung, Strom und, und, und.Vor wenigen Tagen ist ihr Jüngster acht Jahre alt geworden. "Wir haben nicht gefeiert", sagt die arbeitssuchende Mutter. Der Kleine sei ein kluger Junge, und er habe verstanden, dass es keine Geschenke und keinen Kuchen gab. Sehr traurig sei er hingegen, wenn die Mama ihm kein Bällchen Eis in der Stadt kaufen kann. Ihr ältester Sohn geht bald auf Klassenfahrt. "Wir sprechen mit dem Lehrer. Ich möchte mich nicht mehr schämen und rechtfertigen", hat sie am Weltkindertag beschlossen.

Ein Jahr lang hat Lucia Sicali-Safari Essen bei der Trierer Tafel geholt. "Jeder Tag ist ein Überlebenskampf", sagt die 38-Jährige. Ihre Jacke, Bluse und Hose hat sie im Second-Handshop für einen Euro gekauft, die Schuhe trägt sie im vierten Jahr. "Ich finde, Armut sieht man", sagt sie. Doch wer will Armut sehen? Damit das Tabuthema Armut aus seinem Schattendasein geholt wird, hatte der Trierer Kinderschutzbund sich der bundesweiten Aktion "Kinderarmut aus dem Verborgenen holen" seines Bundesverbandes angeschlossen und mit einer spektakulären Fähnchensteckaktion im Palastgarten auf die Situation von 3500 "armen Kindern" aufmerksam gemacht. "Bundesweit sind es 2,5 Millionen Kinder", sagte Elke Boné, Zweite Vorsitzende des Trierer Kinderschutzbundes.

Schüler und Schülerinnen der Klasse 6d des Max-Planck-Gymnasiums - und Lucia Sicali-Safari - haben die Fähnchen gesteckt. "Kinderarmut ist eine unabänderliche Tatsache. Der schleichende Ausschluss von benachteiligten Kindern und Jugendlichen kann und muss gestoppt werden", fordern UNICEF, Deutscher Kinderschutzbund und das Bündnis für Kinder. "Nur wenn Kinder eine Zukunft haben, dann hat die Gesellschaft eine Zukunft", sagte Georg Bernarding. Klaus Jensen betonte: "Es ist ein Armutszeugnis, dass die Zahl der armen Kinder gestiegen ist". Arme Familien müssten besonders gefördert werden. Seit 2004 hat sich die Zahl der Kinder, die in Armut leben, verdoppelt. Ein Grund sei die Hartz IV-Regelung. "Wir dürfen niemanden einseitig verantwortlich machen, wenn Kinderarmut geändert werden soll, müssen wir uns alle die Hände reichen", sagte Elke Boné.

Lucia Sicali-Safaris hört aufmerksam zu. 3500 Fähnchen wehen im Wind. Sie ist froh, dass sie den Mut aufgebracht hat, aus ihrer Isolation hinauszugehen. Und: Sie hat Hoffnung. "Kraft für den täglichen Überlebenskampf gibt mir die tiefe Liebe zu meinen Kindern", sagt sie und schaut auf die Uhr. Es ist Zeit, ihren Jüngsten von der Schule abzuholen.

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