KOLUMNE

Üüüühhhhääääääähh schallte es gar hässlich durch den Discounter. "Oh weh", dachte ich und blickte zu einer jungen Frau herüber, die ein plärrendes Kind auf ihrem linken Arm trug und mit Hilfe ihres Hüftknochens ein anderes plärrendes Kind in dem vollen Einkaufswagen vor sich herschob.

Am Ende ihres zweiten Arms hing ein etwa 10-jähriges Mädchen. Je weiter die Mutter es von den Tiefkühlregalen wegzerrte, desto größer wurde das Geschrei. "Maaaaaammmaaaa ich will aber...", schrie es, begleitet vom wortlosen Gekreische der kleineren Geschwister. Ich schaute die Mutter an. "Mein Kleines, das Wollen war gestern. Wir leben in der Zeit des Möchtens", sagte sie sanft und wirkte völlig gelassen. "Faszinierend", dachte ich. Offensichtlich reagiert der Körper anders auf Stress, wenn es um die eigenen Kinder geht. Bei mir hatte die Geräuschkulisse längst ein schwer zu definierendes Unwohlsein ausgelöst. Eine Wolke aus Aggression schien über Möhren und Tomaten hinweg direkt auf mich zuzuwabern. Etwas krampfte sich in mir zusammen. Hätte ich nicht in einer langen Schlange neben den Gurken warten müssen, wäre ich gerne meinem Fluchttrieb gefolgt. Nur mühsam schaltete sich mein Gehirn ein. "Was ist denn los", fragte es - "Das sind doch nur Kinder und die plärren ein bisschen, weil sie irgendetwas wollen." Mein Gehirn hatte jedoch wenig Zeit, darüber nachzudenken, denn bedrohlich nah erklang ein ohrenbetäubendes "Üüüüäähhhh, ich will aber Fertigpizza. Fer-tig-piz-za..." "Fertigpizza", dachte ich und verstand. Die bedrohliche Stimmung war mit einem Mal wie weggeblasen. Mit einer Mischung aus beschämtem Mitleid und Freude über mein eigenes Glück blickte ich erst in das verheulte Kindergesicht und dann in meinen Einkaufswagen. Dort lagen sie. In bunten Kartons gestapelt - und keiner würde sie mir wegnehmen. Meine Fertigpizzen. Die mit Spinat mochte ich besonders gerne. Ich stellte mir vor, wie es wäre, hineinzubeißen: unten knusprig, oben saftig, Oregano und ein Hauch von Knoblauch... Direkt darüber lag die mit Tomate und Mozzarella. Ihr Käse würde Fäden ziehen ... Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Und dann sah ich aus den Augenwinkeln, wie der Vater das rebellische Kind unter seinen rechten Arm klemmte und so unauffällig, wie dies mit einem großen, schreienden Mädchen möglich war, aus dem Laden trug. Ruhe legte sich über die Möhren. "Welch himmelschreiende Ungerechtigkeit", dachte ich - und hätte an ihrer Stelle noch viel lauter geschrien. Katharina Hammermann In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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