Karl-Marx-Haus ja, Marxismus nein

TRIER. Die vermeintliche "Marxistin" ist gar keine: Beatrix Bouvier, seit zwei Jahren Leiterin des Museums und Studienzentrums Karl-Marx-Haus, hat mit dem berühmtesten aller gebürtigen Trierer wenig am Hut und sieht sich nicht als Gralshüterin seines Gedankenguts. Auch ansonsten erfüllt die 60-Jährige kaum ein Klischee.

Vor allem Museumsbesucher aus Osteuropa können es kaum fassen. Die oft gestellte rhetorische Frage "Du Kommunist?" pflegt Professor Dr. Beatrix Bouvier mit einem freundlichen, aber bestimmten Lächeln zu verneinen: "Ich bin kein Kommunist!" Der Grund: "Ich habe zu Marx ein distanziertes Verhältnis. Sein Freund-Feind-Denken und seine Ausschließlichkeit behagen mir nicht."Hausherrin wohnt "unterm Dach juchhe"

Ihre Arbeitsstätte dafür um so mehr, zumal sich jetzt die ersten Früchte intensiver Arbeit ernten lassen. Das Geburtshaus von Karl Marx (1818-1883) in der Brückenstraße 10 zog mit seiner unter Leitung von Beatrix Bouvier völlig neu konzipierten und optisch aufgepeppten Ausstellung in den ersten zwei Monaten seit der Wiedereröffnung durch SPD-Chef Franz Müntefering 10 000 Besucher an, fast ein Drittel davon Chinesen und viele Schüler. "Es läuft gut", freut sich die Hausherrin und Chef-Neugestalterin. Seit 1974 steht die Historikerin in Diensten der Friedrich-Ebert-Stiftung (Bonn), der Marx-Haus und Studienzentrum seit 1968 gehören. Erste große Aufgabe: "Gegen die DDR anschreiben. Wir haben uns damals mit der DDR einen regelrechten Wettkampf um Themen und Interpretationen geliefert." Mit vielen ihrer Bücher setzte sie dort an, "wo der Kommunismus nichts Rühmliches zu vermelden hat - und das ist nicht gerade wenig". Auch als DDR-Forscherin erschrieb sich Beatrix Bouvier einen Namen. Da hätte sie doch bequem in Bonn die Wissenschaftlerinnen-Karriere ausklingen lassen können. Aber die Ebert-Stiftung brauchte einen neuen Leiter für ihre Trierer Renommier-Immobilie. Beatrix Bouvier ließ sich, obwohl familiär und beruflich tief in der einstigen Bundeshauptstadt verwurzelt, nicht lange bitten. Herausforderungen ist sie nie aus dem Weg gegangen - "und ich habe immer alles vorweg genommen". Die persönliche "revolutionäre Phase" durchlief der in Frankfurt/Main aufgewachsene Spross einer "bis in die Knochen bürgerlichen Familie" bereits Jahre, ehe es 1968 "Mode wurde". Themen damals: die Entkolonialisierung und Befreiungsbewegung, zum Beispiel in Algerien und Angola. Als "alle, die an der Uni etwas auf sich hielten", sich der neomarxistischen Linken um Rudi Dutschke anschlossen, ging die Geschichts- und Politikwissenschafts-Studentin Beatrix Bouvier zu den "weniger angesehenen Jungsozialisten". Dem, wie sie sagt, "Experiment in Einübung praktischer Politik" schwor sie bald wieder ab: "Es macht mir weitaus mehr Spaß, Politik zu beobachten. Außerdem ist mir jede Ellenbogen-Mentalität fremd - was ich keineswegs bedauere." Ein "Pokerface" machen ist auch nicht ihre Sache: "Augenzwinkernd die große Klappe vortäuschen, das kann ich gut und gerne und damit bei Diskussionsveranstaltungen zum Amüsement des Publikums beitragen. Aber mich verstellen - nein." In Trier muss sie sich auch nicht verstellen: "Ich bin hier schnell mit den Leuten warm geworden." Die begeisterte Hobby-Seglerin mit Hang zu moderner US-Literatur und afrikanischer Kunst drang gar in eine reine Männerdomäne ein und half, den (gemischten) neuen Rotary-Club Hermeskeil-Hunsrück aus der Taufe zu heben. Persönliche Zwischenbilanz nach zwei Jahren Trier: "Eine sehr absorbierende, aber erfüllende Zeit. Es war richtig, die Herausforderung Karl-Marx-Haus anzunehmen", sagt die 60-jährige Junggesellin, die im Studienzentrum in der Johannisstraße "auf 25 Quadratmetern unterm Dach juchhe" lebt und die Wochenenden meist in Bonn verbringt. Nach einem Mini-Urlaub geht es übernächste Woche gleich mit Volldampf weiter. Im Kopf von Beatrix Bouvier reifen schon die nächsten Projekte heran. Im neuen Museumscafé im Karl-Marx-Haus will sie jungen Doktoranden ein Podium bieten; für das WM-Jahr 2006 plant sie eine Veranstaltungsserie zur "Kultur- und Sozialgeschichte des Fußballs und seiner Entwicklung vom Elite- zum Massensport". Und weil es ihr "unheimlich viel Freude macht, mit jungen Leuten zu arbeiten", legt die Professorin ab Herbst wieder einen Uni-Tag pro Woche ein und lehrt an der TU Darmstadt Neuere und Neueste Geschichte. Beatrix Bouvier sprudelt vor Ideen und ist um keine Antwort verlegen. Nur bei der Frage, was sie Karl Marx sagen würde, wenn sie ihm begegnete, passt sie: "Ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt über den Weg laufen wollte..."

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