Kein Stück zum Zurücklehnen

Das Musical "Anatevka" im Theater Trier scheint ein Renner zu werden. Jedenfalls kamen schon zum Theatercafé am Sonntagmorgen rund 200 Zuschauer, um sich ein paar Kostproben von der Produktion zu Gemüte zu führen, die am Samstag, 8. November, um 19.30 Uhr Premiere feiert.

Trier. Ob es das populäre Stück ist oder der prominente Gast-Star Dunja Rajter: Das Theaterfoyer war rappelvoll, und die hohe Erwartungshaltung wurde nicht enttäuscht. Musik-Dramaturg Peter Larsen bot eine gelungene, knapp 90-minütige Tour d'horizon rund um das 1964 am Broadway uraufgeführte Musical.

Im Original heißt es "Der Fiedler auf dem Dach", und so eröffnete Geiger Andras Magyar die Matinée. Dunja Rajter verriet im Gespräch mit Larsen, dass sie bereits die Ur-Produktion in New York besucht hatte, seinerzeit auf Einladung des ersten Haupt-Darstellers Zero Mostel.

Dessen Trierer Nachfolger Pawel Czekala erzählte von Ortschaften in seiner polnischen Heimat, die bis heute die Atmosphäre eines jüdischen "Schtetl" wie Anatevka ausstrahlen. Czekala spielt den jüdischen Milchmann Tevje, der versucht, seine Familie samt dreier heiratsfähiger Töchter in einem russischen Dörfchen über die Runden zu bringen - bis man wieder einmal verjagt und vetrieben wird.

Das Stück "über die Jahrhunderte erzählen"



Die jüdische Kultur spielte neben vielfältigen musikalischen Einblicken mit Dirigent Jens Bingert und den Solisten der Produktion eine wesentliche Rolle. Simon Neuberg von der Uni Trier, einer von zwei Jiddistik-Professoren in Europa, berichtete über die weltweite Verbreitung dieser Sprache, die alle Verfolgungen überstanden hat. Neubergs kleine Tochter bot dem Publikum mit einer kurzen Fabel die Chance, das Jiddische auch in gesprochener Form kennen zu lernen.

Stimmt der Eindruck, den das Theatercafé vermittelte, darf sich das Trierer Publikum auf eine Aufführung freuen, die den politischen Hintergrund des Stückes nicht außer Acht lässt. Der Premieren-Termin am Vorabend des 70. Jahrestags der Reichsprogromnacht sei alles andere als ein Zufall, sagte Peter Larsen.

Dunja Rajter, in der Anti-Rassismus-Initative "Gesicht zeigen" engagiert und lange Jahre mit dem verstorbenen Paul Spiegel befreundet, wertete das Musical als Möglichkeit, etwas gegen Fremdenfeindichkeit zu tun. Regisseur Peter Zeug, dessen Stringenz und anschauliche Arbeitsweise allseits gelobt wird, warf die Frage auf, "ob Vertreibung nicht am Ende auch schon zur Tradition geworden ist".

Tradition sei aber keineswegs das Stichwort für die Optik der Inszenierung, betonte Ausstatterin Anita Rask-Nielsen. Man wolle das Stück "über die Jahrhunderte" erzählen, mit Bindung an die Gegenwart statt mit Zuckerbäcker-Romantik.

Das traf genau die Linie, die Dramaturg Larsen in seinem Resümee aufzeigte: Man dürfe "Anatevka nicht sorglos auf die Bühne bringen, jedenfalls nicht in Deutschland". Die Bedrohung für das jüdische Leben müsse "immer präsent bleiben".

Man wird sehen, ob die Produktion diesem hohen Anspruch standhält.

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