Klammer auf und Klammer zu

TRIER. Er ist Übersetzer, begnadeter Vortragskünstler, "Zeit"-Kolumnist, Botschafter für irischen Whiskey, der Penner in der Lindenstraße und Träger des Johann-Heinrich-Voß-Preises der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: Harry Rowohlt las im großen Saal der Tufa.

 Souverän und seebärtig: Kult-Übersetzer Harry Rowohlt liest im großen Saal der Trierer Tufa.Foto: Oliver Ruf

Souverän und seebärtig: Kult-Übersetzer Harry Rowohlt liest im großen Saal der Trierer Tufa.Foto: Oliver Ruf

Ein Märchenonkel hängt im Vorlesestuhl, streichelt sich den Bart, rückt die Brille zurecht. Beim Sprechen knarrt es durch die Verstärker und kribbelt es im Bauch. Ganz tief unten brodelt die Stimme, grummelt und grollt, bis es an der Zeit für einen deutschen Dialekt ist. Harry Rowohlt beherrscht sie alle, die Umgangssprachen von Norden bis Süden. Bei einem Vortragsabend mit dem Kultübersetzer, der eine Nebenrolle in der Lindenstraße spielt, lässt es sich gar nicht genug über Stimmvarianten freuen. Er praktiziert Satzmelodie und Klangfarbe souverän seebärtig. Das ist der viel gerühmte "Rowohlt-Sound"."Meinungen und Deinungen eines Bärs"

In seinem Berufsstand mag er der Ausnahmefall sein. Übersetzer fristen üblicherweise ein Schattendasein in den langen Fluren der Verlagshäuser, schreiben sich die Finger wund und bleiben doch ihr Leben lang unbekannt. Bei dem gebürtigen Hamburger ist das anders. Er hat es von der untersten Schublade im belletristischen Schuhschränkchen auf die oberste Ablage gebracht. Mittlerweile wird auf den Buchdeckeln sein Name genau so groß geschrieben wie der des Autors. Der Bekanntheitsgrad hat auch etwas mit seiner zweiten, auf Zeilenhonorar fußenden Einkunftsquelle zu tun. In der Wochenzeitung "Die Zeit" verfasst er Kolumnen, die als originelle Filmkritiken begonnen haben und heute "Meinungen und Deinungen eines Bärs von geringem Verstand" erzählen. "Ich lese ,Pooh's Corner' selbst mit wachsendem Unmut", verrät Rowohltim großen Tufasaal, rezitiert trotzdem einige Beispiele, vorgelesen und gespickt mit "Klammer auf" und "Klammer zu". Außerdem gibt es Anekdötchen und Episoden und schließlich die Hauptsache: Von Rowohlt übersetzte Zeilen englischsprachiger Literatur. Die Hundegedichte von David Sedaris zum Beispiel, die er nicht nur ins Deutsche, sondern auch in ordentliches Englisch übertragen hat, weil der Autor die Orthographie seiner Muttersprache geflissentlich ignoriert.Monströse Modulation der Stimme

Beim Vortrag des Originals verschludert er selbstverständlich die Wörter mit echt amerikanischem Akzent. Monströs klingt die Modulation dieser Stimme, von düster bis glasklar, was nicht nur treffsicher Mundarten, sondern auch komplette Menschenschläge imitiert. So schälen sich die Figuren aus Jim Dodges herrlich genialer Geschichte "FUP" aus dem Dickichtder Sprache. Der Mann unter den Rauchschwaden, im orangefarbenen Pulli, mit den wachen Augen zwischen verfilzten Haaren und buschigen Brauen, verwandelt sich ohne weiteres in den murrenden, 99 Jahre alten "Granddaddy Jake", den sanftmütigen Hünen "Tiny" und die kompromisslose, 20 Pfund schwere Stockente "Fup". Stets gleicht die Lesung einem Ritual. Das heißt Pulle auf, Fluppe an. Wenn auch die obligatorische Whiskeyflasche, die ihm stets der Vertrag mit dem Veranstalter garantiert, griffbereit ist, nuckelt er bis zur Pause allerdings an nur einem einzigen Glas Bier. Da wundert sich der eine oder andere, der Rowohlt schon ganz anders auf der Bühne erlebt hat.

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