Kleinkind allein auf dem Fenstersims: Jugendamt schaltet sich ein

Trier · Ein dreijähriges Mädchen klettert am Freitagnachmittag aus einem offenen Fenster im dritten Stock, Polizeibeamte brechen die Wohnungstür auf und ziehen die Kleine vom Fenstersims. Das Jugendamt hat sich eingeschaltet. Die Staatsanwaltschaft wird außerdem klären, ob sich die Eltern strafbar gemacht haben.

Ein grauer Altbaublock in Trier-Nord in direkter Nähe des Hauptbahnhofs: Mitarbeiter eines Unternehmens auf der anderen Straßenseite trauen ihren Augen kaum, als sie am Freitag ein kleines Mädchen auf einem Fenstersims in zehn Metern Höhe sehen. Sofort informieren sie Polizei und Feuerwehr.

Mit Gewalt verschaffen sich Polizeibeamte Zutritt zur Wohnung und treten die Tür des ebenfalls verschlossenen Kinderzimmers ein. Die Eltern sind nicht zu Hause, der Vater kommt erst kurz nach dem Einsatz in die Wohnung zurück.

Ein außergewöhnlicher Fall, der zum Glück nicht zur Tragödie wurde und Fragen aufwirft. Haben die Eltern sich strafbar gemacht, indem sie ihre Dreijährige bei verschlossenen Türen und einem offenen Fenster allein zu Hause ließen? "Das wird in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft geklärt", sagt Monika Peters, Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Trier. Ob der Vorfall am Freitag eine Verletzung der Erziehungs- und Fürsorgepflicht gewesen sein kann (siehe Extra), sei noch nicht klar.

"Das Jugendamt ist aktiv und macht sich ein Bild von der Situation", sagt Hans-Günther Lanfer, Pressereferent der Stadtverwaltung Trier. Das Amt stehe in engem Kontakt mit der Familie und kläre zurzeit ab, in welcher Weise hier Handlungsbedarf oder auch Unterstützungsbedarf besteht.

Reinhold Spitzley ist der Geschäftsführer des Vereins Palais in Trier. Der Verein ist der größte Anbieter ambulanter Familienhilfe in der Region Trier und betreut momentan 150 Kinder und deren Familien in sehr schwierigen Lebensumständen. "Es gibt Notsituationen, in denen Eltern derart kleine Kinder allein lassen", sagt der Experte. "Wenn beispielsweise eines der Geschwister krank ist und dringend zum Arzt muss." Den aktuellen Fall in Trier-Nord könne er nur als Außenstehender beurteilen. "Es kann aus der Not heraus immer Gründe für eine solche Situation geben."

Die Beurteilung der Lage hänge auch davon ab, wie lange die Eltern das Kind allein gelassen haben. "Die verschlossene Tür und das offenbar für das Kind erreichbare offene Fenster sind natürlich Faktoren, die von außen betrachtet problematisch scheinen. Es ist gut, dass das Jugendamt sich sofort eingeschaltet hat."

Ob die Eltern sich tatsächlich strafbar gemacht haben, will Spitzley nicht beurteilen. "Das ist eine sehr schwierige und sensible Frage, für deren Beantwortung alle vorhandenen Fakten notwendig sind."

Großen Dank verdienen seiner Ansicht nach neben der Polizei und der Feuerwehr auch die aufmerksamen Mitarbeiter im Firmengebäude gegenüber, die das Kind gesehen und sofort richtig reagiert haben.Extra

Eine Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht ist im deutschen Recht eine Straftat. Paragraf 171 des Strafgesetzbuchs sagt: "Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Der Gesetzgeber spricht von einem "gröblichen" Verstoß gegen die Fürsorgepflicht, wenn bestimmte Situationen wie beispielsweise das Alleinlassen sehr kleiner Kinder systematisch und immer wieder auftreten. Aber auch ein Einzelfall kann als "gröblich" gelten, wenn er besonders gravierende Folgen hat. jp

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