Krude Theorien

TRIER. (red) "Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden": Mit diesem Ausspruch von Theodor Adorno charakterisierte der Berliner Rundfunkjournalist Tobias Jaecker das Gros der Verschwörungstheorien über die islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 in New York.

Jaecker referierte auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft AG Trier und der "Aktion 3.Welt Saar” vor über 90 Besuchern im Karl Marx Studienzentrum in Trier. Kooperationspartner war die Landeszentrale für politische Bildung. Dort stellte er die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit an der Freien Universität Berlin vor. Hannes Platz, der im Vorstand beider Veranstalter mitarbeitet, führte in das Thema ein. "Die Behauptung, dass die USA mit den Anschlägen das ernten, was sie wirtschaftspolitisch in der Dritten Welt an Armut gesät haben, war für uns der Anlass zu dieser Veranstaltung", so Platz. Schon wenige Stunden nach den Terroranschlägen von New York habe die Karriere der Verschwörungstheorien begonnen, wonach die USA und Israel die Verursacher seien, sagte Jaecker. Dabei seien deutliche antisemitische Stereotype zu beobachten. "Bei Verschwörungstheorien handelt es sich um Welterklärungsmuster, die in personifizierender Weise im Geheimen agierende Personengruppen verantwortlich machen für das komplexe Geschehen in der Welt", sagte Jaecker. Antisemitismus sehe er als ein Einstellungsmuster, dass feindselig gegen die Juden sei, denen es in personifizierender Weise Merkmale zuschreibe. Sie würden als übermächtig und rachsüchtig umschrieben. Die Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 kursierten im Internet, aber vor allem würden sie verbreitet durch die Bestseller von Ex-Forschungsminister Andreas von Bülow, dem ehemaligen Taz-Redakteur Matthias Bröckers und dem WDR-Fernsehjournalisten Gerhard Wisnewski. So werde behauptet, der israelische Geheimdienst Mossad habe vor den Anschlägen Kenntnis besessen, Juden seien vorgewarnt worden und Israel sei der Hauptnutznießer der Anschläge. Überprüfbare Belege würden dafür nicht genannt, sagte Jaecker. Für ihn sei dies das "klassische antisemitische Deutungsmuster". Dabei gebe es prominente historische Vorläufer der aktuellen Theorien, die nach welterschütternden Ereignissen ihre Kreise ziehen und einfache Erklärungen für Kompliziertes bieten. "Juden als Drahtzieher wurden für die französische Revolution von 1789, die russische Revolution von 1917 und die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg 1918 verantwortlich gemacht." Für Jaecker sind die aktuellen Theorien lediglich neue Varianten eines alten Deutungsmusters. Auch der Nahost-Konflikt wird seit dem 11. September 2001 verstärkt verschwörungstheoretisch erklärt. Israel nutze den Kampf gegen den Terror, um seine Politik gegenüber den Palästinensern zu verschärfen und hege gar Vertreibungspläne. "Besorgniserregend finde ich, dass diese kruden Theorien Gehör finden", meinte Jaecker. So glaube jeder Fünfte, dass die USA mit der Ausführung der Anschläge selbst zu tun haben könnten und dass Israel das Weltgeschehen beeinflusse. Diese Umfrageergebnisse deckten sich mit den Untersuchungen der Universität Bielefeld, derzufolge die Gesellschaft mit mindestens einem 20-prozentigen Basissatz an manifest antisemitisch eingestellten Bürgern rechnen müsse. "Allerdings machen es die USA ihren Gegnern auch leicht, weil sie dann das berechtigte Bedürfnis nach Aufklärung und Information nur unzureichend nachkommen", so Jaecker. Hannes Platz kündigte an, dass man sich für die "dringend benötigte Aufklärungsarbeit" einsetzen werde. Informationen: www.dig-trier.de und www.a3wsaar.de

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