Lernen fürs Leben – nicht für die Industrie

TRIER. Erfolgreicher Kampf gegen die Klischees: Seit 25 Jahren besteht die Freie Waldorfschule in Trier. Die Nachfrage nach Plätzen in dieser besonderen Schule ist inzwischen so groß, dass eine Warteliste existiert.

Seit 25 Jahren gibt es nun die freie Waldorfschule in Trier. Angefangen hat alles mit einem Waldorfkindergarten in der Südallee. Als die Kinder dann schulpflichtig wurden, schlossen sich die Eltern zusammen und gründeten die freie Waldorfschule in Trier. Mittlerweile sind Kindergarten und Schule nebeneinander am Montessoriweg. Zurzeit wird die Waldorfschule von 444 Schülern besucht. Nicht nur von außen ist die Waldorfschule eine besondere. Sie ist eine von 200 freien Waldorfschulen in Deutschland, die in freier Trägerschaft geführt werden und staatlich anerkannt sind. Im Inneren der Schule ist Holz das dominierende Element. Jeder Klassenraum ist individuell gestaltet. Da die Schule im Unterschied zu den staatlichen Schulen nicht vollständig vom Land finanziert wird, erheben die Waldorfschulen einen Elternbeitrag, der sich nach dem Einkommen orientiert. Ziel der Waldorf-Pädagogik, die auf der Lehre von Rudolf Steiner basiert, ist es, die individuellen Fähigkeiten und Begabungen der einzelnen Kinder zu fördern. "Wir wollen nicht für die Industrie erziehen, für uns steht der Mensch im Vordergrund und seine Erziehung zur Freiheit", sagt Hans Wunsch, Lehrer und Geschäftsführer der freien Waldorfschule. Soziale Kompetenz sollen die Schüler in den zahlreichen Praktika erlernen, die sie während ihrer Schulzeit in der Landwirtschaft, in der Industrie und im sozialen Bereich absolvieren müssen. Mit der ersten Klasse beginnt das Erlernen von Fremdsprachen, spielerisch wird den Schulneulingen Englisch und Französisch beigebracht. Die künstlerische und handwerkliche Ausbildung hat einen hohen Stellenwert, die Schüler weben, schreinern und gestalten Plastiken. Ab der fünften Klasse taucht auf dem Stundenplan das Fach Gartenbau auf. Im schuleigenen Garten werden Kartoffeln, Tomaten und andere Gemüsesorten angebaut, die nach der Ernte auf dem Teller in der Schulküche landen. Dort wird jeden Tag für die Lehrer und Schüler ein Mittagessen serviert. Die Waldorfschule ist eine Gesamtschule mit Ganztagsangebot. Ihr Ziel ist es, dass alle Schüler die Schule bis zur zwölften Klasse besuchen und damit den Waldorfabschluss erhalten. Doch viele hängen dann noch ein Jahr an und verlassen die Schule mit dem Abitur. Auf Noten und das "Sitzenbleiben" wird in der Waldorfschule verzichtet. Stattdessen erhalten die Schüler eine schriftliche Beurteilung über ihren individuellen Leistungsstand. Zensuren tauchen nur auf den Zeugnissen für den Haupt-, Realschulabschluss und beim Abitur auf. Bei Fächern wie Mathematik steht die Verbindung von Theorie und Praxis im Vordergrund, die Schüler sollen ihr erlerntes Wissen in die Tat umsetzen. Ein Projekt, bei dem dies gefordert wird, ist das Landvermessungspraktikum in der zehnten Klasse. Neben dem Anwenden von mathematischen Formeln steht dabei das Arbeiten im Team im Vordergrund. Am Anfang habe man mit Vorurteilen kämpfen müssen, erinnert sich Wunsch, doch dies habe sich geändert, viele Menschen habe das Bildungskonzept überzeugt. Derzeit ist die Nachfrage für die "etwas andere Schule" so groß, dass eine Warteliste existiert. "Das Klima ist uns wichtiger als der Leistungsdruck", sagt Wunsch. Dennoch ist die Quote von Schülern, die das Abitur ablegen, genauso hoch wie an staatlichen Schulen.

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