Lernen vom Last-Esel

TRIER-EHRANG. Sie ist die Frau, die mit dem Esel spazieren geht: In Ehrang kennt jedes Kind Nelly Stockburger. Die regelmäßigen Ausflüge mit Langohr "Lara" sind beileibe nicht die einzigen unkonventionellen Aktionen der Psychologin.

Wenn Nelly Stockburger mit ihrem Esel im Schlepptau durch Ehrang spaziert und das Tier schon mal vor einem Geschäft anleint, um etwas zu kaufen, ist ihr bewusst, dass dieses ungewohnte Bild Aufsehen erregt. "Aber man kann sich doch auch fragen: Wo ist eigentlich der Unterschied zwischen einem großen Hund und einem Esel?", sagt die Psychologin, der es wichtiger ist, Denkanstöße zu geben, als aufzufallen.Eselin "Laras" große Überraschung

"Wenn ich immer da aufgegeben hätte, wo die Nachbarn sagen ‚Das tut man nicht‘, dann hätte ich nie etwas erreicht", sagt Stockburger. Ein Motto, das sich wie ein roter Faden durch ihr unkonventionelles Leben zieht. Vor 25 Jahren verließ sie ihre Heimatstadt Tübingen und bezog mit ihrem damaligen Ehemann ein Haus in der Ehranger Gartenstraße, in dem sie bis heute lebt. Sie hat sich dort ein verwunschenes Märchenreich geschaffen, das nur im Viertelstundentakt der vorbeidonnernden Züge vorübergehend wachgerüttelt zu werden scheint. Auch die Ideale der 68er-Generation, den Traum vom gemeinschaftlichen Leben in einer Kommune, verbunden mit "freier Liebe" ohne feste Partner, verwirklichte Stockburger dort einst. "Bis zu zehn Menschen haben in diesem Haus zusammengelebt", erzählt sie. Ihre vier - inzwischen erwachsenen - Kinder wuchsen in dieser Umgebung auf. "Später änderten sich die Altersstrukturen", erinnert sich Stockburger. Einige Mitbewohner wanderten ab, neue kamen hinzu. Und während die frisch Zugezogenen zwischen 20 und 30 Jahre alt waren, befand sich Stockburger schließlich jenseits dieser Altersgrenze. "Irgendwann fühlte ich mich wie eine Art Mutter innerhalb der Gemeinschaft - und das wollte ich nicht." Sie beschloss, allein zu leben. "Die Revolution ist ge-scheitert", gibt sie zu. "Aber für mich selbst habe ich die alten Ideale bewahrt." Auch ihrer Wahlheimat Trier blieb sie treu. In ihr romantisches Garten-Idyll voller Wildwuchs und Engelsfiguren hielten nach und nach immer mehr Tiere Einzug. "Dieses Projekt ist für meine Enkelkinder gedacht", erzählt sie. "Ein Garten und viele kleine Tiere: Das ist doch eine der schönsten Erinnerungen, die man an das Lebensumfeld der Großeltern haben kann." Zu Stockburgers tierischen Gefährten zählen die Ziegenböcke Timmi und Moritz, zwei Hängebauchschweine, Hühner, Enten, Sittiche, Kaninchen und zwei Katzen. Im Herbst 2005 nahm sie Eselin "Lara" bei sich auf, die nach einem schweren Arbeitsleben als Lasttier in Rumänien gesundheitliche Probleme hatte. "Das Laufen schien ihr gut zu tun - und so ging ich mit ihr spazieren." Bald stellte sich heraus, dass "Lara" trächtig war. Im Frühjahr kam Eselskind "Isis" zur Welt. Der übermütige Nachwuchs sorgt seitdem für mächtig Trubel in Stockburgers Garten. Das gleichzeitige Spazierengehen mit Wildfang "Isis" und Mutter "Lara" gestaltet sich allerdings reichlich schwierig. "Ich würde mich sehr freuen, wenn jemand Lust hätte, mit uns gemeinsam zu laufen und dabei die wunderschöne Natur entlang der Kyll zu genießen", sagt die Ehrangerin. Auch die übrige geflügelte oder vierbeinige Vielfalt steht anderen Menschen im Rahmen der regelmäßig im Garten stattfindenden "Feste der Freundschaft" zur Verfügung. Das nächste findet am Sonntag, 17. September, von 14 bis 17 Uhr statt. Stockburger serviert dann Kaffee und Kuchen, Kinder können den "Streichelzoo" entdecken und Erwachsene ein nettes Pläuschchen halten. "Tiere sind nicht die besseren Menschen", meint die Gastgeberin, "aber man kann viel von ihnen lernen."

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