Lernziel: Gemeinschaftsfähigkeit

Die Grundschule Reichertsberg liegt am Fuß des Markusberges. Ihre 118 Schüler kommen fast alle aus dem Stadtteil Trier-West. Oberstes Leitbild der Schule: Sie will ihre Kinder "gemeinschaftsfähig machen".

 Die Grundschule Reichertsberg in Trier-West ist schon seit 15 Jahren eine offene Ganztagsschule. TV-Foto: Dieter Lintz

Die Grundschule Reichertsberg in Trier-West ist schon seit 15 Jahren eine offene Ganztagsschule. TV-Foto: Dieter Lintz

Trier. "Bei uns lauft nichts so wie an anderen Schulen". Rektor Rolf Neumann sagt das ganz unaufgeregt. Kurz zuvor hat er ein Kind wieder "eingesammelt", das auf eigene Faust aus der Schule nach Hause gelaufen war. Kaum hat er das Mädchen drei Minuten aus den Augen gelassen, ist es wieder verschwunden. Am Reichertsberg haben die Lehrer Handypflicht, damit sie abgängige Kinder gleich melden können.Schülermotivation als Hauptaufgabe

"Unsere Kinder sind nicht dümmer als andere, sie haben nur eine gnadenlos geringe Frustrationstoleranz", betont Neumann. Will heißen: Man muss sich etwas einfallen lassen, wenn man sie für den Unterricht motivieren will. Zumal es oft keine große Unterstützung seitens des Elternhauses gibt. Der Schlüssel ist dabei die emotionale Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. "Die Kinder müssen für ihren Lehrer lernen", sagt der Rektor. Was wiederum beim Kollegium "ein hohes Maß an pädagogischer Handlungskompetenz voraussetzt".Im Konzept-Papier für die offene Ganztagsschule, die hier schon seit 15 Jahren praktiziert wird, heißt es: "Empathie entwickeln, Atmosphäre schaffen, Fähigkeiten stärken, Toleranz üben". Dazu gehören auch "klare, stringente Regeln", deren Nichteinhaltung mit Konsequenzen verbunden ist. Wer den Unterricht übermäßig stört, landet nach einer Gelben Karte im "Trainingsraum", wo er sich unter Betreuung besinnen kann. Zweimal am Tag Trainingsraum bedeutet das Abholen durch die Eltern. Wer seine Hausaufgaben vergisst, muss nach der Schule bleiben, bis er sie nachgeholt hat. Alles mit den Eltern fest vereinbart. Im Gegenzug gibt es eine feste Sportstunde pro Tag, bewegten Unterricht, Spiel- und Sportfeste, Pausenspiele - genug Gelegenheit zum Austoben. "Unsere Schule findet nicht nur in der Klasse statt", erzählt Rolf Neumann, nach eigenem Bekenntnis ein "Sport-Verrückter". Parallel wird aber auch die kreative Seite der Kinder gefördert, zum Beispiel mit einem aufwendigen Orchester-Projekt in Zusammenarbeit mit der Koch-Stiftung und der städtischen Musikschule. Ein eigener Schulkindergarten, viele Projekte und Arbeitsgemeinschaften, ein Schulsozialarbeiter und eine Förderkraft: Das Umfeld unterstützt die Lehrer bei der Arbeit mit dem schwierigen Klientel im sozialen Brennpunkt. Die Mischung scheint zu funktionieren: Die Hälfte der Viertklässler packt es im Sommer auf die Realschule oder das Gymnasium - eine solche Quote gab es noch nie. "Es ist alles möglich, auch in einem Stadtteil wie Trier-West", sagt Neumann mit sichtlichem Stolz. Er redet oft von "den Kinderchen", wenn er seine Schüler meint. Das klingt eher liebevoll als verniedlichend. Dass es ein gewisses Gewaltpotenzial gibt, ist dem Schulleiter durchaus klar. Er setzt auf die langfristige Einbindung in ein "System gewaltpräventiver Maßnahmen", das schon im Kindergarten beginnt und die Kids auch in der Schulzeit lückenlos und altersangemessen betreut.Der bauliche Zustand der Reichertsberg-Schule lässt zu wünschen übrig. Die Außenfassade wirkt heruntergekommen und sanierungsbedürftig. Aber allzu hohe Ansprüche hat man hier offenbar nicht. "Wir frieren im Winter nicht, und seit wir Jalousien haben, wird es im Sommer auch keine vierzig Grad mehr heiß", fasst Rolf Neumann den Status quo zusammen. Platz ist genug, sogar der "Jazz-and-Rock-School" hat man Asyl gewährt. Ein Computerraum mit 14 "erbettelten PCs" existiert, die Bücherei hat man dank Rotary Club und ausrangiertem Material der Stadtbücherei aufgebessert. Sogar einen Beamer gibt es im Haus - Luxus für Trie rer Schulen.Und noch etwas hat Reichertsberg, was sonst niemand hat: ein "Bienen-Projekt" in Gestalt einer kleinen Schulimkerei. Das ist so erfolgreich, dass es sich für das Finale eines bundesweiten Wettbewerbs qualifiziert hat, das demnächst in Berlin stattfindet. Rolf Neumann wird mit 15 Schülern hinfahren. Dieser Ausflug wird - wie alle Schultouren - ein Höhepunkt im Leben der Reichertsberger. Nichts sei so wichtig für "die Kinderchen", sagt der Rektor, "wie einmal über den Tellerrand ihres Stadtteils hinauszuschauen". Morgen in unserer Serie: Die Barbara-Grundschule.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort