Lieber Stottern als Schweigen

Etwa 800 000 Menschen in Deutschland leiden unter Sprachstörungen. Um ein wenig um Verständnis zu werben und dazu Klischees und Missverständnisse zu beseitigen, besucht eine Delegation der "Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe" derzeit Schulen der Region.

 Mitglieder der „Stotterer -Selbsthilfe“ zeigen Schülern und Lehrern der Hauptschule St. Maximin auf, welchen Problemen Betroffene gerade in der Schule begegnen. TV-Foto: Frank Göbel

Mitglieder der „Stotterer -Selbsthilfe“ zeigen Schülern und Lehrern der Hauptschule St. Maximin auf, welchen Problemen Betroffene gerade in der Schule begegnen. TV-Foto: Frank Göbel

Trier. Was haben Moses, Winston Churchill und Bruce Willis gemeinsam ? Sie sind, oder waren, Stotterer. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Stottern als "Störung des Sprachflusses durch häufige Wiederholung oder Dehnung von Lauten, Silben oder Wörtern, oder durch häufiges Zögern und Innehalten". Etwa ein Prozent der Bevölkerung weltweit leidet darunter, wobei deutlich mehr Männer als Frauen betroffen sind. Dauert das Stottern über die Pubertät hinaus an, gilt es praktisch als nicht mehr heilbar.Die "Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe" hat, um die Nöte stotternder Schüler auch Nichtbetroffenen näher zu bringen, eine "Info-Bustour" organisiert, die derzeit Schulen in der Region besucht. Die private Hauptschule St.Maximin war eine Station. Dort machten neun junge Menschen in einer "ungewöhnlichen Unterrichtsstunde" den Schülern und Lehrern deutlich, dass der stotternde Schüler nicht nur leidet, wenn er gerade mit den Worten ringt: Werden Betroffene schikaniert oder gedrängt, kommt es bald schon zu einer Angst vor dem Sprechen. So beliebte Schulrituale wie das "Reihum-Vorlesen" beispielsweise führten oft zu Herzrasen und Angstattacken, die das Problem natürlich nicht gerade kleiner machten. Nora aus Ungarn etwa erzählte, dass in ihrer Familie ihr Stottern nie als großes Problem angesehen wurde. Erst der Druck in der Schule habe bei ihr regelmäßig zu angstvollen Momenten und Minderwertigkeitsgefühlen geführt. Ein anderer Teilnehmer erzählte, wie er zeitweise versuchte, kritische Wörter einfach durch leichtere zu ersetzen. "Am Bahnhof kaufte ich mir dann mal statt einem Brötchen ein Croissant", sagte er. "Ich habe zwar nicht gestottert, dafür wurde ich aber auch nicht satt." Nicht "zu nervös" zum Sprechen

Dabei betonte die Pädagogin Ruth Heap, die die Gruppe begleitete, dass Stotterer keineswegs nur "zu nervös" zum Sprechen seien. Ergebnisse der noch relativ jungen Forschung zeigten, dass auch hirnorganische Defekte die Sprachstörung begründen könnten.Die Informationstour der Vereinigung findet traditionell zeitnah zum "europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen" statt. Zentrale Forderung fast aller Beiträge war dann auch die Bitte gerade an das versammelte Lehrerkollegium, stotternde Schüler nicht noch mehr unter Druck zu setzen. Denn bittere Erfahrungen wie die einer Teilnehmerin, die allein wegen ihres Stotterns nicht zum Gymnasium empfohlen wurde, seien leider immer noch zu häufig: Viele Stotterer würden durch ihre Beeinträchtigung entmutigt, aktiv am Unterricht teilzunehmen. Und dann heiße es sehr oft: Mündlich mangelhaft. Für den 37-jährigen Volkmar, der seit fünfzehn Jahren in der Selbsthilfe aktiv ist, kommt die Strategie der Zurückhaltung nicht mehr in Frage: "Lieber Stottern als Schweigen" ist sein Motto.Betroffene und Interessierte können sich über die Arbeit der bundesweit einmaligen Organisation unter www.bvss.de informieren.

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