Masse verhindert Klasse

TRIER-NORD. Durch ein fragwürdiges Wertungssystem kamen beim regionalen Vorentscheid von "Emergenza", dem größten Nachwuchsfestival der Welt, im Trierer Exhaus nicht die besten Bands in die nächste Runde.

Konsterniert klatschen die vier Sprechmusiker von "Deep" den Gewinnern Beifall. Die begnadete Hip-Hop-Formation aus Trier hat es nicht ins Halbfinale des "Emergenza"-Festivals in Frankfurt geschafft. Obwohl sie zu den besten Teilnehmern gehörte. Doch im Gegensatz zu den Endrunden entscheidet in der Vorrunde keine Jury über das Weiterkommen der Bands, sondern das Publikum nach jedem Auftritt per Handzeichen. Schülerband bringt mehr Fans mit

So kam am vergangenen Donnerstag im Trierer Exhaus die leidlich begabte Schülerband "A Raving Beauty" in die nächste Runde, weil sie die meisten Fans mitbrachte. Über drei Stunden saßen die Eltern der vier Jungen gelangweilt im hinteren Bereich des Exilkellers, ehe ihre Sprösslinge als Letzte von sieben Bands die Bühne betraten. Anders als bei den mitgereisten Mitschülern, die ihre Klassenkameraden so hysterisch wie Mädchen bei "Tokio Hotel" feierten, verflog ihre Euphorie jedoch sofort. "Könnte ich ein bisschen mehr Stimme von meinen Mitsängern auf dem Monitor haben", sagte der Hauptsänger nach dem ersten Stück zum Mischer. Dabei hatte jeder von ihnen nicht nur ein bisschen mehr Stimme nötig. Wäre Rockmusik ein Schulfach, wäre ihre Versetzung gefährdet. Es passte einfach nichts zusammen. Eine halbe Stunde hatte jede Band Zeit, um sich die Gunst des Publikums zu erspielen. "A Raving Beauty" waren zu früh fertig und mussten mangels Material oder ausreichender Proben einen Titel wiederholen. Eine wenig beschlagene Nachwuchsmoderatorin, deren einzige Qualifikation für diese Aufgabe im Tragen von Tätowierungen bestand, kam beim anschließenden Zählen der Handzeichen auf stolze 112 Stimmen, da viele beide Hände hoben. Für eine positive Überraschung und gestärkte Nackenmuskeln sorgte hingegen "Santa Crux". Mit handwerklich sauberem, schnellem Death-Metal belegte das Quartett aus Saarburg den zweiten Platz und wird ebenfalls in Frankfurt um den Einzug ins Finale von "Emergenza" spielen. Vor zwölf Jahren wurde das inzwischen größte Nachwuchsfestival aus der Wiege gehoben. Seitdem haben weltweit mehrere Zehntausend Bands daran teilgenommen. Allein in Deutschland meldeten sich dieses Jahr fast 1000 Gruppen an. Wer sich nach mehreren Vorrunden auch im deutschen Finale in München durchsetzt, darf mit den anderen Finalisten aus Europa und den USA beim renommierten Taubertal-Festival spielen. Der Sieger dort bekommt eine Tour durch Amerika gesponsert. Die Möglichkeit dazu hat auch noch "Robert Paulson", die nicht nur optisch eine der interessantesten Bands der Vorrunde waren. Der Sänger des flotten Punk- und Grunge-Vierers aus Saarbrücken und Idar-Oberstein hat eine herrlich heisere Stimme, die so kräftig klingt, wie der 2,10 Meter große Bassist aussieht. Als vierte und letzte Gruppe schafften es die Trierer "Dis.Go" ins Halbfinale. Wohl auch, weil sie zu Beginn spielten, als sich noch die meisten der 250 Besucher vor der Bühne aufhielten. Die sieben Lokalmatadoren mischten mit den an sich gut harmonierenden Zutaten Hardcore, Punk und Ska einen Cocktail, der einem nicht erst am nächsten Morgen Kopfschmerzen bereitete. Nicht zuletzt wegen des fragwürdigen Wertungssystems endete für "Knoxville", "New Ways in Order" und "4 Deep" die Teilnahme bei "Emergenza" in der Vorrunde.

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