Mehr als eine verknotete Zunge

"Mehr als eine verknotete Zunge": Das ist das Motto zum Welttag des Stotterns. Es spielt auf die großen Belastungen an, die die Sprachbehinderung für Betroffene sind. Rund ein Prozent aller Erwachsenen in Deutschland stottert. Im Alltag bedeutet das häufig sowohl ein Kampf mit den Worten als auch mit Vorurteilen.

 Stottern veranlasst einige Menschen dazu, bestimmte Wörter und Situationen zu vermeiden oder gar nicht mehr zu sprechen. TV-Foto: Marcel Wollscheid

Stottern veranlasst einige Menschen dazu, bestimmte Wörter und Situationen zu vermeiden oder gar nicht mehr zu sprechen. TV-Foto: Marcel Wollscheid

Trier. Für Johannes Veit können Worte leicht zu Stolpersteinen werden. Der 59-jährige Buchhalter aus dem saarländischen Wadern stottert seit seiner Grundschulzeit und hatte besonders damals mit der Sprachbehinderung zu kämpfen. "Die Lehrer waren sehr ungeduldig. Ich hatte unter meiner Sprechangst sehr zu leiden, das werde ich nie vergessen." Trotzdem hat er seinen Weg als Buchhalter gemacht und arbeitet seit 40 Jahren ohne Probleme in einem mittelständischen Betrieb. "Bestimmte Dinge im Leben kompensiert man eben mit Leistung", kommentiert er seinen Werdegang.

Wie Johannes Veit ergeht es allein in Deutschland mehreren Hunderttausend Menschen. Der Stotternde weiß genau, was er sagen will, doch die Worte wollen nicht ohne Störung fließen. Es kommt zu Sprechblockaden, Wiederholungen und Dehnungen im Satz. Bis heute sind die Ursachen des Stotterns nicht vollständig erforscht. Es wird jedoch angenommen, dass sowohl Veranlagung als auch auslösende Faktoren in der Kindheit eine Rolle bei der Entstehung der Sprechstörung spielen. Psychische Probleme gehören dagegen definitiv nicht zu den Ursachen.

Trotzdem sehen sich stotternde Menschen oftmals Vorurteilen ausgesetzt: Sie seien weniger intelligent, nervös oder geistig zurückgeblieben. Dieses weit verbreitete Bild führt bei vielen Betroffenen zu einer regelrechten "Sprechangst", die das alltägliche Leben beherrschen kann.

Aus Furcht vor Ablehnung vermeiden viele stotternde Menschen bestimmte Wörter und Situationen oder suchen gar die soziale Isolation. Verständnis finden viele Betroffene oftmals nur in Selbsthilfegruppen, in denen sie ihre Probleme ohne Druck schildern können. Dabei wäre den meisten stotternden Menschen schon mit ein wenig Geduld ihres Gegenübers in alltäglichen Gesprächen geholfen. "Man lässt uns nicht aussprechen oder wendet sich mit dem Blick ab, was ich immer noch als sehr schlimm empfinde", beschreibt Johannes Veit diese Erfahrungen. Wichtig sei es, "die Situation nicht zu belächeln, den Blickkontakt zu halten und den Gesprächspartner auf keinen Fall zu unterbrechen".

Für die Belange von Stotternden setzt sich seit 30 Jahren die Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V. (BVSS) ein. Zum diesjährigen Welttag des Stotterns bekräftigt sie ihre Forderung nach verstärkter Prävention: Eltern sollen sich frühzeitig mit Sprachstörungen ihrer Kinder befassen und Lehrer verstärkt im Umgang mit stotternden Kindern geschult werden. Damit soll stotternden Menschen von Kindesbeinen an ein selbstbewusster Umgang mit der Sprechbehinderung ermöglicht werden. Schließlich bedeutet Stottern für die Betroffenen "mehr als nur eine verknotete Zunge".

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