Menschenmassen nach Mitternacht

TRIER. Menschenmassen schoben sich am Samstagnacht durch die Trierer Innenstadt. Die erste Einkaufsnacht entpuppte sich als Magnet mit ungeahnter Anziehungskraft.

Es kommt selten vor, dass das Trierer Parkleitsystem dem Parkplatzsuchenden keine Perspektive bieten kann. Aber am Samstag kurz vor Mitternacht steht die Null auf allen Anzeigetafeln. Selbst in der obersten Etage des City-Parkhauses, die selten von Autoreifen kontaktiert wird, reihen sich dicht an dicht Fahrzeuge mit Luxemburger Kennzeichen und solchen, die mit SLS, MZG oder WIL beginnen. Im Minutentakt spucken die Parkhäuser Menschenmassen aus, die sich zu jenen gesellen, die schon seit Stunden die Plätze der Innenstadt bevölkern. Vor der Porta fließt der Gala-Sekt in Strömen, am Stockplatz sorgen die "Leiendecker Bloas" für Stimmung, auf dem Domfreihof lockt gepflegter Jazz. Auf dem Kornmarkt leuchtet der "Weiße Riese" des Georgsbrunnens in Eros-Center-Rot, ansonsten deckt die Dunkelheit den Mantel der Barmherzigkeit über die Baustellen-Reste, die - allen Versprechungen zum Trotz - keineswegs beseitigt worden sind. Aber das stört niemanden, warten doch alle begierig auf 0.01 Uhr, wenn die Geschäfte öffnen sollen. Clevere verkürzen die Wartezeit und sichern sich damit die Aufmerksamkeit der Kundschaft, die bevorzugt pärchenweise unterwegs ist. Ein Weinhaus hat eine Fotogalerie aufgebaut, ein Schuhgeschäft lässt Models im knappen Schwarzen hinter geschlossenen Türen Schuhmode präsentieren. Selten hat man so viele Männer gesehen, die sich freiwillig länger als 30 Sekunden vor den Auslagen eines Schuhladens aufhalten. Eine Boutique in der Brotstraße bietet lebende Schaufensterpuppen auf, andere machen mit Fackeln oder brennenden Schalen auf sich aufmerksam. Die Jakobstraße hat gleich ein ganzes Fest organisiert, bietet Genüsse vom Big Mac bis zur leckeren "Salamella dolce" samt Parmesan vom ganzen Laib. Gegen Mitternacht erreicht das Gedränge Altstadtfest-Dimensionen. Als die Geschäfte öffnen, setzt ein Sturmlauf ein, dass die Mitarbeiter Mühe haben, die Auslagen vor die Tür zu schieben. "Der reine Wahnsinn!", stöhnt die Geschäftsführerin der Boutique "Wissmach" in der Fleischstraße. Klamotten und Schuhe sind stark gefragt, bei C&A herrscht Gewimmel wie im Ameisenhaufen. Wer geöffnet hat, gehört zu den Gewinnern

Der Bekleidungsriese hat geöffnet, während die Konkurrenten "H&M" und "Sinn-Leffers" ihre verschlossenen Eingänge unfreiwillig als Ruhezone für mit Dosenbier bewaffnete Jugendliche zur Verfügung stellen. Enttäuschung bei Kunden, die zu Kaufhof oder Karstadt wollen: Auch dort bleiben die Türen verschlossen. Dass es auch anders geht, zeigt der Media-Markt: Per Gratis-Römer-Express lässt er reichlich Kundschaft Richtung Allencenter transportieren. Heftig begehrt bei der überwiegend jungen Kundschaft sind die Buchhandlungen. "Interbook" hat die lange Einkaufsnacht der Fantasie seinen Azubis überlassen, und die haben die Buchhandlung in einen orientalischen Basar verwandelt. Das Gedränge ist so groß, dass die Bauchtänzerin Mühe hat, die Hüften zu schwingen. Schweißausbrüche auch an der Kasse: "Solchen Andrang haben wir sonst nur am langen Samstag vor Weihnachten", bilanziert Mitarbeiter Thomas Brausch strahlend. Zufriedene Gesichter auch bei Stephanus und bei Thalia, wo sich die größten Krimi-Autoren der Region zum Gipfeltreffen versammelt haben. Kultur ist durchaus gefragt inmitten des Kommerz-Rummels: Beim "Klavier-Marathon" im Musikhaus Reisser müssen Stühle beigeschleppt werden; Jungs und Mädels in Hosen, deren Schritt auf Kniehöhe liegt, lauschen andächtig Chopin-Walzern und Jazz-Improvisationen. Auch Parfüm und Modeschmuck gehen "wie die Pest". Parfümerie-Pierre-Inhaber Peter Brommenschenkel, sonst selten um Worte verlegen, ruft nur "Das hätte ich nie gedacht", bevor er sich den endlosen Schlangen an der Kasse widmet. Überall dort, wo möglichst viele Geschäfte geöffnet haben, ziehen die Lichter das Publikum an. Wo halbe Straßenzüge düster bleiben, haben auch die wenigen Mutigen einen schweren Stand. Der amtierende Chef der City-Initiative, Albrecht Thul, hastet vorbei. "Kein Parkplatz in der ganzen Stadt", bemerkt er zufrieden. Glückwünsche von allen Seiten. "Die kommen garantiert wieder", sagt er mit Blick auf die Kunden, deren französisch-luxemburgisch-englisches Sprachengemisch nicht zu überhören ist. Um 3 Uhr ist die Schlacht weitgehend geschlagen, müde Verkäufer sichten die gelüfteten Auslagen. "Die haben ihr Vergnügen, und wir müssen es ausbaden", sagt eine C&A-Verkäuferin skeptisch. Buchhändler Brausch sieht das Einkaufs-Happening anders: "Das hat einen Höllenspaß gemacht." Mehr Fotos von "Trier - nachtaktiv": www.intrinet.de/szene/clickme/

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