Milde Strafe für Ex-Disco-Chef - Scheinselbstständigkeit: 45-Jähriger wird auf Bewährung verurteilt

Trier · Im Verfahren gegen einen ehemaligen Trierer Disco-Betreiber hat das Trierer Schöffengericht am Donnerstag einen milden Schlussstrich gezogen: ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung. Der Vorwurf gegen den 45-jährigen Italiener lautete Beschäftigung von Scheinselbstständigen zum Schaden der Rentenkassen.

Trier. Ein "dicker Fisch" schien auf der Anklagebank zu sitzen, als der Prozess im März dieses Jahres begann: Der gelernte Architekt und Ex-Disco-Chef sollte 161 Mitarbeiter unterschiedlich lange unter dem Deckmantel der Scheinselbstständigkeit beschäftigt haben. Dadurch seien zwischen 2005 und 2010 rund 540 000 Euro an den Rentenkassen vorbeigeschleust worden. Diese Zahlen in der Anklageschrift basierten im Wesentlichen auf den Hochrechnungen von Rentenkassen und Krankenversicherungen. Nach sechs Verhandlungstagen, an denen das Gericht fast pausenlos ehemalige Disco-Mitarbeiter als Zeugen gehört hatte, relativierte sich das Bild: Tatsächlich mussten zahlreiche Mitarbeiter branchentypisch als echte Selbstständige eingestuft werden. Hinzu kam, dass die Versicherungen ihre Schadensberechnungen meist viel zu hoch angesetzt hatten, indem sie von unrealistisch opulenten Einkünften der Mitarbeiter ausgingen.
Diese angeblichen Spitzengehälter wurden im Laufe dieses Verfahrens zum Dauerthema und Anlass für manch spitze Bemerkung vom Vorsitzenden Hans-Jürgen Ferring, von Verteidiger Andreas Ammer und von Staatsanwalt Wolfgang Spies.
Am gestrigen Donnerstag dann die Bilanz: Die ursprüngliche Schadenssumme von genau 540 343 Euro schrumpfte auf einen nicht genauer definierbaren Betrag von unter 200 000 Euro. Die tatsächliche Zahl der Scheinselbstständigen sackte von 161 auf 99. Auf Antrag der Anklage wurden die anderen Fälle eingestellt.
In seinem Schlusswort stellte Staatsanwalt Spies dieses zahlenmäßige Missverhältnis an den Anfang, um sich dann der Person des Angeklagten zu widmen, der heute in Privatinsolvenz lebt. "Ist das ein übler Sozialschädling, der sich auf Kosten der Leute bereichern wollte?", fragte Spies. Die Wahrheit sehe wohl anders aus. Der Angeklagte sei ein Mann mit vielen neuen Ideen, verstehe aber nichts von betriebswirtschaftlichen Strukturen. Das habe die Mitarbeiter begeistert, die "dann im Chaos den Betrieb am Laufen hielten, bis es nicht mehr weiterging und die Insolvenz kam". Einsparen durch Scheinselbstständige? Der Angeklagte habe sich nicht darum gekümmert, weil es ihm egal gewesen sei - nicht vergleichbar mit einem Bauunternehmer, der skrupellos Leute aus dem Osten ausnutzt. Der Antrag des Anklagevertreters: ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Verteidiger Ammer -"ich will mich kurz fassen" - schloss sich dem im Wesentlichen an. Allerdings verzichtete er nicht auf einen Seitenhieb in Richtung Versicherungen: "Wenn die Sozialversicherer Augenmaß gehabt hätten, wären sie rechtzeitig auf den Angeklagten zugekommen." Ammer hielt eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr für angemessen, zumal sein Mandant aktiv an der Aufklärung mitgewirkt habe.
Das Gericht folgte der Anklage und verhängte ein Jahr Freiheitsstrafe, die zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Angeklagter und Staatsanwalt nahmen das Urteil an. Es ist rechtskräftig.Meinung

Jahrelang nichts bemerktVon Friedhelm Knopp

Es kreißte der Berg und gebar eine Maus: Aus dem vermeintlichen Gaunerstück eines "Disco-Königs" ist die - allerdings nicht entschuldbare - Verfehlung eines einst quirligen Unternehmers geworden, der es mit seiner innerbetrieblichen Organisation nicht so genau nahm. Gute Ideen für tolle Disco-Events zu entwickeln ist das eine, darauf zu achten, dass trotz knapper Kasse die versicherungsrechtlichen Spielregeln eingehalten werden, das andere. Erstaunlich aber ist, wie lange es bei den bezugsberechtigten Versicherungen dauerte, bis der Groschen fiel. Anstatt den Unternehmer frühzeitig an seine Pflichten zu erinnern, passierte acht Jahre lang nichts. Erst als bei dem inzwischen insolventen Betroffenen nichts mehr zu holen war, wurde mit unrealistischen Hochrechnungen überreagiert, um ihm strafrechtlich noch eins auszuwischen. Eine merkwürdige Vorgehensweise. trier@volksfreund.de

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