Mit Benzin, viel Service und Eiern zum Erfolg

TRIER. (red) Nach der erfolgreichen Serie, in der Zeitzeugen aus der Region Trier von den letzten Kriegsmonaten berichteten, startet heute eine Neuauflage. Im Mittelpunkt stehen nun die Wirtschaftswunder-Jahre. Wir starten mit dem Bericht des Trierers Wilhelm Schaab.

Geboren 1937, verbrachte ich meine Kindheit auf dem Löllberg. Dort wohnten wir, das heißt unsere Mutter und wir drei Kinder - unser Vater war schon 1937 gestorben - bis zu Beginn der 50er-Jahre. Bei den Bombenangriffen im Dezember 1944 war unser gesamter Besitz in der Südallee zerstört worden. Für einen umfassenden Wiederaufbau war kein Geld da. In einem der zerbombten Fabrikgebäude errichtete die Firma Sartor & Engel ein Gipswerk und einen Baustoffhandel. Eine andere Halle übernahm die Firma H. W. Bolland für ihr Sperrholzmagazin. Die "Große Villa" meines Großvaters Joseph Schaab bekam ein neues Dach, und es wurden sechs Wohnungen eingerichtet und vermietet. In die wenig beschädigte "Kleine Villa" kam ins Erdgeschoss das Büro von Sartor & Engel, im Obergeschoss wohnte die Familie Engel. Familie Sartor bezog eine Wohnung in der "Großen Villa". Da man ohne Einkünfte nicht unbegrenzt leben, geschweige denn den Wiederaufbau finanzieren kann, entschloss sich meine Mutter 1952, den Löllberg zu verkaufen, vom Erlös eine Tankstelle zu bauen und eine Mietwohnung in Großvaters "Villa" zu beziehen. Am 17. März 1952 wurde die "Shell-Großtankstelle an den Kaiserthermen" eröffnet. Für mich, damals 15 Jahre alt, Schüler auf dem Max-Planck-Gymnasium, begann der Ernst des Lebens. Ich arbeitete an der Tankstelle jeden Samstag, jeden zweiten Sonntag und später auch im Nachtdienst, das heißt bis 23 Uhr. Samstags wusch ich Autos. Sonntags und abends hatte ich Tankdienst und war auch für die Kasse zuständig. Mein Stundenlohn betrug bis zu meinem 21. Lebensjahr eine D-Mark. Dazu kam das Trinkgeld. Wenn Geld in der Kasse fehlte, ging das zu meinen Lasten. So kam ich monatlich auf 50 bis 100 D-Mark und gehörte damit zu den Reichen in der Klasse. Die Umsätze unserer Tankstelle wuchsen langsam, aber sicher. Dafür sorgten unser Service und auch unsere Werbung. Einmal zu Ostern verschenkten wir an jeden Autoinsassen Ostereier. Das war damals eine Sensation. Es kamen Autofahrer, die wir noch nie bei uns gesehen hatten, das Auto voll mit Kindern, und tankten zehn Liter. Die Scheiben wurden geputzt; der Ölstand, das Wasser und der Reifendruck wurden geprüft, und Eier bekamen sie noch dazu. In Windeseile sprach sich das in ganz Trier herum. Von meinem Verdienst an der Tankstelle kaufte ich mir als erstes ein Fahrrad. Es war ein leichtes Viktoria-Tourenrad mit elegantem Doppelrohrrahmen. Das Rad wurde mein Hobby. Reinigung und Umbauarbeiten nahmen viel Zeit in Anspruch. Die erste größere Fahrt führte mich mit meinem Freund im Frühjahr 1953 auf den Nürburgring. Im gleichen Jahr fuhren meine drei Jahre ältere Schwester Sonja und ich an den Bodensee. 1954 ging es mit einem Freund über den Gotthard-Pass nach Lugano und 1955 über den Splügen-Pass nach Como, Lugano, Locarno und über den Simplon-Pass zurück. Wir hatten die Zeltausrüstung, Wäsche, Kochgeschirr und Lebensmittel dabei, insgesamt ein Gewicht von 30 bis 35 kg pro Rad. Die Tagesstrecken lagen zwischen 80 und 140 Kilometern. Unser Reisekostenbudget betrug ein bis zwei D-Mark pro Tag. 1958 bestand ich mein Abitur und begann mein Studium Wirtschaftsingenieurwesen in Berlin. Über mich gibt es also aus den 50er-Jahren nichts Außergewöhnliches zu berichten. Ich war ein mittelmäßiger Schüler, habe viel gearbeitet - für meine Nebenverdienste - und das Geld für meine Hobbys (Rad und Radtouren, Zelt und Fotoapparat) ausgegeben. Außergewöhnlich finde ich allerdings das Lebenswerk meiner Mutter. Sie hat nicht nur uns drei Kinder allein aufgezogen und allen dreien ein Studium ermöglicht, sondern sie hat nach dem Krieg das Familienerbe zu einem großen Teil wieder aufgebaut (Große Villa, Kleine Villa, Tankstelle, Kaffee-Restaurant: das Gelände, auf dem heute das Polizeipräsidium steht). Dr.-Ing. Wilhelm Schaab (69), Logistik-Berater und Firmeninhaber aus München

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