Mit Rucksack und Pilgerstab nach Santiago

PALLIEN/SANTIAGO DE COMPOSTELA. 2200 Kilometer zu Fuß, bei Wind und Wetter, mal einsam, mal in der Gruppe. Heinz Longen aus Pallien ist nach dreimonatiger Wanderschaft auf dem Jakobs-Pilgerweg nach Santiago de Compostela wieder nach Hause zurückgekehrt – mit einem Füllhorn von Erlebnissen.

Die Tage vor dem Start ist Longen nervös, wartet darauf, dass endlich das Wetter besser wird. Schließlich findet er sich damit ab, dass er doch "dicke Klamotten” mitnehmen muss. Ausgerüstet mit Rucksack und Pilgerstab zieht er am 15. März bei kaltem, aber trockenem Wetter von seinem Haus in der Bonner Straße aus los. Ein Arztcheck hat dem 64-Jährigen zuvor grünes Licht attestiert - und ein stattliches Übergewicht. Ob er ein mulmiges Gefühl hat in Anbetracht der Länge des Weges, die vor ihm liegt? "Gar nicht”, meint der Stukkateurmeister. Schließlich hat er präzise Karten dabei. Außerdem: Seit Jahren hat sich Longen mit dem Pilgerpfad beschäftigt und einige Monate als "Training” Wanderungen um Trier gemacht. Die erste Tagesetappe beträgt fast 38 Kilometer bis nach Merzkirchen. Böse Überraschung dann in Frankreich: Die eigentlich anvisierten Übernachtungsbetriebe haben wegen des langen Winters noch geschlossen. Nach ohnehin kräftezehrenden Tagesetappen findet er oft erst spät abends geöffnete Herbergen - und kommt so schon mal auf 55 Kilometer pro Tag. "Da musste ich halt die Zähne zusammenbeißen”, erinnert er sich lachend. Drei Wochen Regen am Stück: Eine überstülpbare Regendichthaut schützt den Rucksack, mit einer Pellerine wird Longen wenigstens von außen nicht nass. Ans Aufgeben denkt er nicht. "Jetzt erst recht!”, habe er sich gedacht. Longen geht auf der so genannten "Klassik”-Route durch Frankreich über Troyes nach Vezelay. Ein einsamer, alter Mann mit Hund, der in verlassener Gegend auf seinem Hof von eigenen Erträgen lebt, bleibt ihm in nachdenklicher Erinnerung. Um so schöner die Begebenheit, als ihn ein französischer Bauer in die Küche bittet, sie etwas gemeinsam trinken und sich unterhalten - ohne jeweils die Landessprache zu sprechen. Lose Verbindungen zu anderen Pilgern aus aller Herren Länder entstehen, man hilft sich, frühstückt gemeinsam mit Familien am Tisch. Durch die Strapazen entzünden sich die Füße, ab Südfrankreich muss Longen ein Bein gar bis über das Knie bandagieren. Viel Obst, jeden Tag zwei Liter Milch und spezielle Vitamine helfen Longen, über die Runden zu kommen. Butter hat er meist dabei, wenn es die Gelegenheit ergibt, kauft er Baguette und Brotbelag. "Ich musste ja etwas zwischen die Zähne bekommen.” Bei abendlichen Menüs sorgt er für Energie-Nachschub - "Ein-Kilo-Steaks waren ruck-zuck weg”, sagt Longen lachend. Den letzten Weg vor dem spanischen Santiago de Compostela geht Longen allein. Das berührte Gefühl, als er am 9. Juni vor der Kathedrale in Compostela eintrifft, kann er kaum in Worte fassen. Nach einer Erholungszeit fährt der Vorruheständler mit dem Zug zurück in die Heimat. Und wird von dem Schützenverein Ehrang, in dem er Mitglied ist, später mit großem Hallo begrüßt. "Es ist schon eine Umstellung, wenn man sich drei Monate selbst organisiert hat”, sagt der verheiratete Palliener. Das "Nur-nach-vorne-gucken", das In-Sich-Hineinhorchen”, Reflexionen über das Leben während seiner Wanderschaft sind ein paar von vielen persönlichen Erfahrungen Longens. Und die Erkenntnis, mit 25 Kilo weniger Gewicht nun wieder Jeans tragen zu können, die vor zwölf Jahren noch passten.

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