Mittelalter-Müll spricht Bände

TRIER. Dieser Griff ins Klo macht Freude. Die Grabungs-Funde auf dem ehemaligen Dewora-Gelände lassen die Archäologen des Rheinischen Landesmuseums frohlocken. Insbesondere einige mittelalterliche Latrinen erweisen sich als reichhaltige Fundgruben.

 Latrinen: Vor 700 Jahren Toiletten, heute reichhaltige Fundgruben für Lukas Clemens (vorn) und seine Landesmuseums-Kollegen.Foto: Roland Morgen

Latrinen: Vor 700 Jahren Toiletten, heute reichhaltige Fundgruben für Lukas Clemens (vorn) und seine Landesmuseums-Kollegen.Foto: Roland Morgen

Es müssen nicht immer Mosaike oder Fundamente von Tempeln und Palästen sein, die Fachleute in Entzücken versetzen. In der 1700 Quadratmeter großen Baugrube zwischen Sichel- und Deworastraße ist von steinernen Relikten aus antiken Glanzzeiten nichts zu sehen. Stattdessen finden sich gut drei Meter unter dem Bodenniveau der Umgebung eher grobschlächtige Gemäuerreste, einige Latrinen und seltsame Löcherkonstellationen. Dennoch spricht Karin Goethert, Vize-Direktorin des Landesmuseums, von einem "überwältigenden Befund, der uns völlig neue Erkenntnisse zur Stadtgeschichte bringt".Frühmittelalter-Dorf unter Schule und Turnhalle

Seit vergangenem Herbst buddelt ein Grabungsteam des Museums unter Leitung von Bruno Kremer auf dem Gelände des inzwischen abgerissenen Schulgebäudes. Bereits der rund 1000 Quadratmeter große erste Grabungsabschnitt brachte erstaunliche Erkenntnisse: Das knapp drei Quadratkilometer große römische Trier war nicht, wie zuvor angenommen, bis an die Stadtmauer zugebaut. Selbst im 4. Jahrhundert nicht, als etwa 70 000 Menschen in der größten Stadt diesseits der Alpen lebten. Damals wuchsen, so belegten die Untersuchungen, auf dem Dewora-Gelände Reben, Gemüse und andere Pflanzenkulturen - wie bereits 200 Jahre zuvor. "Die Nutzung des Geländes lässt sich durchaus mit einer Kleingartenanlage vergleichen", sagt Landesmuseums-Archäologe Lukas Clemens, der das Grabungsprojekt wissenschaftlich betreut.Die ersten Spuren menschlicher Besiedlung stammen aus dem frühen Mittelalter. Das, was Grabungsabschnitt Nummer 1 andeutete, bestätigte und ergänzte die seit März laufende zweite Kampagne, diesmal unter Ex-Schulgebäude und Turnhalle. Clemens: "Wir haben hier ein bislang unbekanntes Dörfchen des 7. und 8. Jahrhunderts entdeckt. Eine Parallele kennen wir nur aus dem Altbachtal." Urkundliche Erwähnung? Fehlanzeige. Die Dewora-Siedler ließen nur Fundamente aus trocken gemauerten römischem Recycling-Material, eingetiefte Grubenhütten, Pfostenstrukturen und diverse Kleinutensilien zurück. Clemens: "Funde von Spinnwirteln und Webschiffchen verweisen auf eine Textilproduktion in diesen Erdkellern." Im 8. Jahrhundert ging das Dorf unter. Vermutlich zogen die Bewohner, wie damals üblich, einfach einige hundert Meter weiter.Reicher und vielfältiger sind hingegen die Hinterlassenschaften der Dewora-Bewohner im Spätmittelalters. Unter der Turnhalle fand das Grabungsteam mehrere Keller, aber auch Zisternen und Latrinen. Die Unterbauten der Toilettenhäuschen aus dem 13./14. Jahrhundert erweisen sich als reichhaltige Fundgruben. Inhalt der einstigen Universal-Müllschlucker: Keramik, Haushaltsgegenstände und nebst anderem organischen Material sogar 700 Jahre alte Pfirsichkerne. "Da macht es uns ausnahmsweise nichts aus, wenn es tierisch stinkt", meint Clemens trocken. Außerdem entdeckten die Museums-Leute Reste zweier Öfen, Steinmörser und Eisenschlacken - Belege für Metallverarbeitung im 14. Jahrhundert.Das Geheimnis der Römer-Hunde

Auch die Welschnonnen, seit Mitte des 17. Jahrhunderts Besitzer des Areals, hinterließen viel sagenden Müll: Eine Abfallgrube gleich neben einer Kapelle enthielt kostbare Glas- und Keramikfunde, darunter imitiertes Chinaporzellan.Rätsel gibt ein außergewöhnlicher Fund an der Deworastraße auf. Dort entdeckte das Team von Grabungschef Kremer zwei Hunde-Skelette in einer eigens für sie ausgehobenen Grube. Laut Lukas Clemens wurden die beiden Tiere im 4. Jahrhundert regelrecht bestattet. Jagd- oder Schoßhunde? Geopfert oder eines natürlichen Todes gestorben? Diese Fragen soll eine Untersuchung der Gebeine an der Uni Leipzig beantworten.

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