"Mittelalter" im Zweiten Weltkrieg

TRIER. Er sieht viel älter aus als er tatsächlich ist. Der 1942/43 errichtete Hochbunker am Augustinerhof wurde als historisches Bauwerk getarnt – in der kühnen Hoffnung, er würde bei Luftangriffen verschont. Heute steht das Objekt des jüngsten TV-Bilderrätsels selbst unter Denkmalschutz.

Der Turmbau zwischen den Rathaus-Gebäuden und dem Hindenburg-Gymnasium ist eine wahrhaft "herausragende" Erscheinung in der Altstadt. Mit seinen rund 40 Metern überragt er alle umliegenden Gebäude, höher sind nur Kirchtürme. Immer wieder pilgern neugierige Touristen zu dem Ungetüm, um das die einschlägige Fremdenverkehrs-Literatur geflissentlich einen großen Bogen macht. Aus nächster Nähe offenbart der Turm seine wahre Bestimmung: Mächtige Betonmauern und eine schwere Metalltür weisen ihn als Schutzbau aus. Wer mehr wissen will, wird in den Akten des städtischen Denkmalpflegeamts fündig. Das Gebäude ist ein Kriegskind. Das Stadt-Hochbauamt plante aufgrund einer staatlichen Anordnung im Juni 1942 ein "Luftschutz-Haus" in unmittelbarer Nähe des seit den 30er-Jahren als "Rathaus II" genutzten ehemaligen Augustinerklosters. Die Bauarbeiten starteten im Herbst 1942. Der Komplex umfasste einen Flachbau und den Hochbunker, der zur Täuschung gezielt nach dem Vorbild der mittelalterlichen Wohntürme gestaltet wurde. Um die Tarnung komplett zu machen, sollte der elfstöckige Bau (zwei Geschosse unterirdisch) ein steiles Walmdach "à la Steipe" erhalten, das allerdings bis auf die Stahlbeton-Unterzüge unausgeführt blieb. Der Ernstfall trat im Herbst 1944 ein. Von Luxemburg aus nahmen US-Streikräfte Trier unter Artilleriebeschuss, und in den Vorweihnachtstagen flog die britische Luftwaffe drei massive und verheerende Bombenangriffe auf die weitgehend evakuierte Stadt. Der Hochbunker mit seinen zwei Meter dicken Eisenbeton-Wänden und Decken wankte, fiel aber nicht. Ironie der Geschichte: Die Steipe aus dem 15. Jahrhundert hingegen fiel einem Bomben-Volltreffer zum Opfer; sie wurde erst 1969/70 wieder aufgebaut. Das Imitat war nie in vollem Umfang funktionstüchtig. Die Maschinenanlage zur Belüftung wurde 1944 zwar geliefert, aber nicht mehr montiert. In den letzten Kriegsmonaten beherbergte der Bunker-Komplex die Luftschutz-Warnzentrale, die Drahtfunk-Sprechstelle, einen Operationsraum sowie die Leitung von Stadtverwaltung, Feuerwehr und technischer Nothilfe. Die Stadt tat sich lange schwer mit dem ungeliebten Erbe der Nazi-Zeit. Ein Abriss wäre weitaus teurer als der Bau. Auch Bestrebungen vor allem zu Beginn der 60er-Jahre, den Bunker erneut als Schutzraum zu nutzen, scheiterten an zu hohen Kosten für eine Instandsetzung. Das Kriegs-Relikt wird nun dauerhaft zum Stadtbild gehören: Seit 1999 steht es wegen seiner städtebaulichen, historischen und technischen Bedeutung unter Denkmalschutz. Einen praktischen Nutzen erfüllt der Hochbunker auch: Er dient dem Stadttheater als Requisitenlager. Die Namen der Bilderrätsel-Gewinner veröffentlichen wir in der morgen erscheinenden Wochenend-Ausgabe.

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