Nach Unglück in Trier: Umgestürzter Baum war offenbar krank

Trier · Offenbar hat es doch Anzeichen dafür gegeben, dass die Statik der am Donnerstag umgestürzten Kastanie gefährdet war: Der Baum war vom Grünflächenamt für eine eingehendere Kontrolle der Standfestigkeit vorgesehen. Für die Nachbarkastanie galt die gleiche Prognose – sie wurde am Montag gefällt.

Nach Unglück in Trier: Umgestürzter Baum war offenbar krank
Foto: Christiane Wolff

Mehr als 30.000 Bäume im Stadtgebiet werden pro Jahr auf ihre Standfestigkeit hin überprüft. Die beiden städtischen Baumkontrolleure halten sich dabei an die Richtlinien der FLL (siehe Extra). Nach diesen soll jeder Baum vom Boden aus "einzeln und von allen Seiten im Kronen-, im Stamm-, im Wurzelanlauf und im Wurzelbereich" visuell begutachtet werden. Beim Stamm müssen die Kontrolleure dabei auf Faulstellen, Pilzbefall, Rindenschäden oder Wurzelanomalien achten.
Bei Zweifel: Handlungsbedarf
Gibt es keine besonderen Auffälligkeiten, wird auf dem Kontrollblatt, das jedem Baum zugeordnet ist, "kein Handlungsbedarf" vermerkt. Gibt es Zweifel, dass schlimme Schäden und Krankheiten durch die Sichtkontrolle ausgeschlossen werden können, merken die Kontrolleure den Baum für eine sogenannte "eingehende Untersuchung" vor. Dabei wird zum Beispiel durch Probesägungen in den Stamm die Standsicherheit eines Baumes genauer untersucht.

Die Kastanie, die am Donnerstag im Wilhelm-Rautenstrauch-Park in der City plötzlich umgefallen ist und dabei eine Frau erschlagen hat, ist bei ihrer Sichtkontrolle am 1. Oktober für eine solche eingehendere Untersuchung vorgesehen worden. Das hat einer der beiden städtischen Kontrolleure bei der Regeluntersuchung am 1. Oktober so in den Unterlagen vermerkt, wie die zuständige Dezernentin Simone Kaes-Torchiani am Montag auf TV-Anfrage erklärte. Der Stadtverwaltung war also bekannt, dass der Unglücksbaum Vorschäden hatte. Öffentlich gemacht hat sie das bis Montag nicht.

100 Zweitkontrollen geplant
Am Freitag hatte Oberbürgermeister Klaus Jensen zwar erklärt, dass die Sichtkontrolle am 1. Oktober "keinen Hinweis auf die Notwendigkeit einer sofortigen Entfernung" gegeben habe. Und die zuständige Dezernentin Simone Kaes-Torchiani hatte davon gesprochen, dass nach der Sichtkontrolle für den Baum "keine weiteren Maßnahmen eingeleitet worden sind" (der TV berichtete). Von einer offenbar vom Kontrolleur als notwendig erachteten Zweitkontrolle war bei dem Pressegespräch am Tag nach dem Unglück allerdings noch nicht die Rede.
Stadtweit sind bei den diesjährigen Sichtkontrollen rund 100 Bäume für eine Zweitkontrolle vorgesehen worden. Auch der Nachbarbaum der Unglückskastanie im Wilhelm-Rautenstrauch-Park stand auf dieser Liste. Am Montagmorgen hat das Grünflächenamt die stehengebliebene Kastanie eingehender untersucht, den Stamm probehalber angesägt - und den Baum anschließend sofort gefällt. "Der Stamm war so morsch und faul, dass die Statik des Baums nicht durch andere Maßnahmen, etwa das Auslichten der Krone, hätte gesichert werden können", sagt Grünflächenamtsleiter Franz Kalck. Beide Kastanien - die umgestürzte und die gestern gefällte - waren rund 80 Jahre alt und zwischen 15 und 17 Meter hoch. Die Frage, ob auch die Statik des Unglücksbaums so gefährdet war, dass eine sofortige Fällung notwendig gewesen wäre, wird wohl das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten beantworten.
Extra

 Obwohl die Stadtverwaltung am Freitag noch erklärt hatte, dass keine außerordentlichen Fällarbeiten geplant seien, sind Mitarbeiter des städtischen Grünflächenamtes am Montagmorgen im Wilhelm-Rautenstrauch-Park kräftig zugange. Ein Baum wurde gefällt, weitere Kronen ausgelichtet.

Obwohl die Stadtverwaltung am Freitag noch erklärt hatte, dass keine außerordentlichen Fällarbeiten geplant seien, sind Mitarbeiter des städtischen Grünflächenamtes am Montagmorgen im Wilhelm-Rautenstrauch-Park kräftig zugange. Ein Baum wurde gefällt, weitere Kronen ausgelichtet.

Foto: Christiane Wolff

Die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL) hat Richtlinien zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen aufgestellt. Nach diesen richten sich viele Gerichte bei zivil- oder strafrechtlichen Prozessen nach Baumschäden und viele Kommunen, darunter auch Trier. Die Richtlinien sehen bei Bäumen, die in belebten innerstädtischen Parks stehen, eine jährliche, sorgfältige Sichtkontrolle vor. Eine jährliche eingehende Untersuchung des Stamms, zum Beispiel durch Abklopfen oder Anbohren, wird nicht verlangt. Die FLL verweist dazu auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, in dem es heißt: "Die Erkrankung oder Vermorschung eines Baumes ist von außen nicht immer erkennbar. Das rechtfertigt aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen, denn der Verkehr muss gewisse Gefahren (…) hinnehmen. Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt nur vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen." woc

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