Nachholbedarf bei den Rechten für Behinderte - 4. Trierer Inklusionsgespräch offenbart Probleme in der Praxis

Trier · 120 Menschen haben beim vierten Trierer Inklusionsgespräch im Schammatdorf darüber diskutiert, ob und inwieweit Behinderte um ihre Rechte gebracht werden. Dabei kam mehrfach das Anliegen zur Sprache, Lotsen- oder Servicestellen zu schaffen, damit sich Betroffene im Verwaltungsdickicht besser zurechtfinden.

 Paul Haubrich, Geschäftsführer des Clubs Aktiv Trier, begrüßt die Teilnehmer des Inklusionsgesprächs im Schammatdorf-Zentrum. TV-Foto: Friedemann Vetter

Paul Haubrich, Geschäftsführer des Clubs Aktiv Trier, begrüßt die Teilnehmer des Inklusionsgesprächs im Schammatdorf-Zentrum. TV-Foto: Friedemann Vetter

Der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung bildete den Anlass für einen Gesprächsabend unter dem bewusst provokanten Titel "Reine Schikane? Werden Menschen mit Behinderung um ihre Rechte gebracht?". 120 Teilnehmer folgten der Einladung vom Club Aktiv, der Behindertenarbeit, von Gemeinsam Leben/Gemeinsam Lernen, Eine Schule für alle sowie dem Netzwerk Gleichstellung und Selbstbestimmung ins Schammatdorf-Zentrum. TV-Redakteur Marcus Hormes moderierte das Gespräch.Wirklichkeit sieht anders aus


In vielen engagierten Beiträgen erklärten Betroffene den ebenfalls zahlreich vertretenen Behördenmitarbeitern ihre Situation. Dabei ging es vor allem darum, dass mit der auch in Deutschland als Gesetz anerkannten UN-Behindertenrechtkonvention eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde, die es dem Staat zur Pflicht macht, die Rechte behinderter Menschen umzusetzen. "Das sind Bürgerrechte", sagte die Richterin und ehemalige Trierer Behindertenbeauftragte Nancy Poser.

Aber die Wirklichkeit, so wurde an diesem Abend deutlich, sieht immer noch anders aus. Stichworte waren die komplizierte Sozialgesetzgebung und Antragstellung, fehlende Informationen über Rechte und ungeklärte Zuständigkeiten. Mehrfach wurde hier die Einführung einer Lotsenstelle angeregt.

Die Praxis, Anträge zunächst einmal abzulehnen, zeuge nicht davon, dass das Recht auf Teilhabe im Vordergrund stehe: "Wenn nur 20 Prozent nach einer Ablehnung nicht in Widerspruch gehen, haben die Krankenkassen viel Geld gespart", sagte eine Besucherin.

Und auch bei der inklusiven Bildung hinke die Wirklichkeit weit hinter dem Anspruch der UN-Konvention her, monierten Teilnehmer. Fehlende personelle Ausstattung, eine Lehrerausbildung, die immer noch nicht die Inklusion im Blick habe, und mangelnde Unterstützung führten oft zum Scheitern, wenn behinderte Kinder eine Regelschule besuchen.

Auch das Recht zu wohnen, wie und wo man wolle, scheitere oft an den Kosten, wie das bewegende Beispiel einer 39-Jährigen zeigte. Die Frau - schwerbehindert und auf umfassende Hilfen angewiesen - wollte entsprechend unterstützt in einer eigenen Wohnung leben. Stattdessen kam sie ins Altenheim - in diesem Fall die kostengünstigere Variante. Denn im Sozialgesetzbuch gibt es den sogenannten Kostenvorbehalt, der der Behindertenrechtskonvention widerspricht, aber immer noch angewendet wird.

Gerd Dahm, Behindertenbeauftragter der Stadt Trier, machte deutlich, dass behinderte Menschen oft nicht behandelt würden wie jemand, der selbstverständlich einen Anspruch auf Hilfe habe, sondern wie Bittsteller. Seine Forderung: Ein Sachbearbeiter sollte für einen Antrag umfassend zuständig sein, egal wie umfangreich und vielfältig dieser sei.
Michael Jörg, Vorsitzender des Clubs Aktiv, erinnerte an die Idee von Servicestellen, was bisher nicht erfolgreich und sinnvoll umgesetzt worden sei.

Angelika Birk, Sozialdezernentin der Stadt Trier und Schirmherrin des Inklusionsgesprächs, stellte in Aussicht, Formulare und Bescheide in einfacher Sprache umzugestalten, damit sie verständlicher werden. Als positives Beispiel nannte sie das Bestreben des Jobcenters, eine Stelle einzurichten, an die sich Menschen wenden können, die mit den Anträgen nicht zurechtkommen. Birk will Rücksprache halten, inwieweit dieses Modell auch in der Stadtverwaltung umsetzbar sei. red

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