Nachrichten-Börse im Friseur-Salon

KERNSCHEID. Kein Bäcker mehr und kein Gasthaus: In Kernscheid wird einem der soziale Kontakt nicht gerade leicht gemacht. Der Friseur-Salon von Uschi Sutschet hat sich in 30 Jahren fast schon zur Kommunikationsstätte gemausert.

An einem grauen Novembertag sind die Straßen im Höhenstadtteil wie ausgestorben. Doch quicklebendig geht es im Erdgeschoss eines Wohnhauses Auf der Redoute zu. Drei Sessel links und rechts im Raum sind besetzt, in den Tassen dampft der Tee, ein herzliches, ansteckendes Lachen ertönt. Es gehört Uschi Sutschet. Die zierliche Frau mit dem schulterlangen Rotschopf ist seit 8 Uhr in der Früh am Waschen, Schneiden und Legen. "Sag mal Uschi, was gibt es denn Neues?", fragen fast alle, die hier rein kommen. Die Frage geht an die richtige Person: Uschi Sutschet gehört wohl zu den bestinformierten Personen in Kernscheid. Wer wird geschieden? Wer ist krank? Wer will sein Haus verkaufen? Denn sobald die Friseurin mit ihren Händen in die Haare ihrer Kundin fasst, sprudeln unwillkürlich ganz Persönliches und Intimes aus dem Mund der Kundin. "Salon-Dame" Uschi Sutschet weiß, die ihr anvertrauten Informationen gewissenhaft einzusetzen. Hört sie gerade von der Kundin, dass sie eine Putzfrau sucht? Da vermittelt sie an eine andere Kundin, die ihr gestern erzählte, dass sie gerade eine Putzstelle sucht. "Ich gebe meinen Kunden auch schon mal ein Brot aus meinem Gefrierschrank, wenn sie vergessen haben, in der Stadt einzukaufen", sagt die quirlige Frau, der man ihre 60 Jahre nur schwer abnehmen will. Da manche der älteren, inzwischen verstorbenen Kunden seinerzeit sogar absichtlich früher zu ihrem Termin kamen, um die fröhliche Stimmung im Salon zu genießen, könnte sie sich vorstellen, auf ihrer Gartenterrasse Kaffee und Kuchen anzubieten. "Aber ich weiß nicht, ob das angenommen werden würde. Viele Kernscheider trauen sich nicht", sagt die aus Ehrang stammende Friseurin, die in 30 Jahren die Seele der Bewohner des Höhenstadtteils verstehen gelernt hat. Im Jahr 1974 zog die Friseur-Meisterin nach Kernscheid und machte sich selbstständig. Diesen November feierte sie das 30-jährige Bestehen ihres mit zwei Auszubildenden geführten Salons mit Sekt, Rosen und kleinen Präsenten für alle Besucher. Doch ausgelernt hat sie auch nach 45 Berufsjahren nie. Über die neuesten Schneide- und Färbetechniken für ein typgerechtes Outfit bildet sich Ursula Sutschet regelmäßig weiter und ist im Prüfungsausschuss der Handwerkskammer.Beste Werbung: Die tolle Frisur

Die Hälfte ihrer weiblichen wie männlichen Kunden wohnt in Kernscheid, der Rest kommt aus allen anderen Trierer Stadtteilen, auch aus Luxemburg oder Mehring eilen die Kunden ihren Salon. So auch Karin Pohl (56) aus Oberbillig. "Meine Arbeitskollegin hatte die Haare immer so toll. Da habe ich sie nach ihrem Friseur gefragt und bin hier gelandet." Auch die Kernscheiderin Brunhilde Lankeshofer schwört auf den Friseur-Salon. "Hier erfahre ich, was es Neues gibt. Besonders mag ich die Aufgeschlossenheit von Frau Sutschet", sagt die 50-Jährige, die schon seit 30 Jahren zum Haareschneiden kommt. "Ich arbeite noch 20 Jahre", sagt die Friseurin. Erst mit 70 will Uschi Sutschet ("Ich werde 112 Jahre alt") weniger arbeiten und eine Friseur-Meisterin einstellen, der sie den Salon später verpachten will - damit die Kernscheider später weder auf gute Frisuren noch auf die gemütliche "Salon-Atmosphäre" verzichten müssen.

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