„Natürlich ist ein Nein noch möglich“ - Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe zur Marx-Statue

Trier · Bevor Trier Ja sage zu der Karl-Marx-Statue, die China der Stadt schenken will, müsse bekannt sein, wie diese genau aussehen soll, sagt Oberbürgermeister Wolfram Leibe im TV-Interview. Unter anderem um das zu klären, reist er Ende Oktober zum chinesischen Botschafter nach Berlin.

 Erhält Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe zusätzliche Unterstützung? CDU und Grüne können sich offenbar vorstellen, die Zahl der Beigeordneten von drei auf vier zu erhöhen. TV-Foto: Friedemann Vetter

Erhält Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe zusätzliche Unterstützung? CDU und Grüne können sich offenbar vorstellen, die Zahl der Beigeordneten von drei auf vier zu erhöhen. TV-Foto: Friedemann Vetter

China ist Thema in Trier: Am Donnerstag besichtigte der stellvertretende Ministerpräsident Ma Kai das Geburtshaus von Karl Marx in der Brückenstraße. Am Freitag stattete der neue Frankfurter Generalkonsul, Wang Shunqing, dem Rathaus seinen Antrittsbesuch ab (siehe Text unten). Und ein chinesischer Investor hat - laut Firmenchef Willi Streit - Interesse, das Recyclingunternehmen Eurec im Trierer Hafen aufzukaufen.

Das öffentlich meist beachtete Thema ist allerdings die Karl-Marx-Statue, die zu dessen 200. Geburtstag auf dem Siemonstiftplatz aufgestellt werden soll. Während Oberbürgermeister Wolfram Leibe vorige Woche in Japan weilte, hatten sich die Stadtratsfraktionen im TV erstmals öffentlich zu dem geplanten Geschenk aus China geäußert. CDU, FDP und AfD hatten dabei Ablehnung signalisiert.

Im Gespräch mit TV-Redakteurin Christiane Wolff wirbt Leibe dafür, sich auf den künstlerischen Prozess und Karl Marx einzulassen - selbstverständlich auch kritisch.

Herr Leibe, freuen Sie sich - nicht als Oberbürgermeister, sondern ganz persönlich als Trierer - auf das große Geschenk aus China?
Wolfram Leibe: "Ja, ich freue mich ganz generell sehr darüber, dass so ein großer Nationalstaat wie China unserer kleinen Stadt ein solches Geschenkangebot gemacht hat - das ist schon etwas Besonderes! Jetzt müssen allerdings noch viele Details geklärt werden, denn es geht nicht darum, dieses Geschenk blind anzunehmen."

Als der Künstler Wu Weishan im Januar 2016 den eigentlich von Ihnen vorgesehenen Platz in der Brückenstraße in Augenschein nahm, betonten Sie, froh zu sein, dass er kein vorgefertigtes Kunstwerk liefere, sondern sich auf Trier und den ausgewählten Standort einlasse. Nun ist es doch anders gekommen…
Leibe: "Unser Vorhaben, dass wir den Standort vorgeben, hat nicht funktioniert. Professor Wu hat den Platz direkt nach dem Vor-Ort-Termin abgelehnt, es fehlten ihm Weite und Licht. Wir haben uns dann auf die Suche nach einer möglichen Alternative gemacht. Vom Simeonstiftplatz war Professor Wu sofort begeistert - insbesonders aus künstlerischen Gründen: Die Statue könnte dort in Sichtachse zu Haus Nummer 8 in der Simeonstraße aufgestellt werden - in das Karl Marx im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern umzog und wo er 17 weitere Jahre wohnte. Diesen künstlerischen Ansatz finde ich spannend, und ich würde mich gerne darauf einlassen. Zumal die Baufachleute und die Denkmalpflege sagen, dass eine 6,30-Meter-Statue dort hinpassen würde. Wir werden aber selbstverständlich - sobald wir wissen, wie die Statue konkret aussehen soll - auch noch ein entsprechendes Massemodell machen, um den Bürgern die Ausmaße und den Bezug zur übrigen Bebauung zu zeigen."

Wann und wie war die Volksrepublik eigentlich auf Trier zugekommen mit ihrer Geschenkabsicht?
Leibe: "Die ersten Gespräche in diese Richtung gab es lange vor meiner Zeit im Trierer Rathaus und wurden von meinem Vorgänger Klaus Jensen begleitet."

Trotzdem ist Ihnen die Sache ja auch schon mindestens seit einem Jahr bekannt. Warum ist der Stadtrat trotzdem noch nicht gefragt worden, ob er eine so bedeutungsschwangere Gabe eigentlich annehmen will?
Leibe: "Bei einer kleineren Figur in der Brückenstraße wäre die Zustimmung des Stadtrats nicht unbedingt notwendig gewesen. Zudem haben wir den Stadtrat immer über unseren Kenntnisstand auf dem Laufenden gehalten. Eine Abstimmung macht allerdings erst Sinn, wenn klar ist, wie das Denkmal konkret aussehen wird. Sobald wir das wissen, werden wir eine entsprechende Beschlussvorlage für den Stadtrat erarbeiten. Abgesehen davon, dass der Rat laut Geschäftsordnung ohnehin über Geschenke an die Stadt, die einen Wert von 50?000 Euro übersteigen, abstimmen muss, wird es dabei selbstredend auch eine inhaltliche Diskussion geben. Auf diese freue ich mich - sie gehört zur kritischen Auseinandersetzung mit Karl Marx, wegen der wir das Jubiläumsjahr ja überhaupt veranstalten."

Wäre ein Nein zur Statue denn überhaupt noch möglich, ohne diplomatische Verwicklungen in Kauf zu nehmen?
Leibe: "Natürlich wäre eine Ablehnung möglich! Es könnte dann zwar zu Irritationen in China kommen, aber diese dürfen kein Argument dafür sein, dass wir - theoretisch - alles akzeptieren müssen."

Wird das auch Thema sein bei Ihrem Gesprächstermin mit dem chinesischen Botschafter in Berlin am 31. Oktober?
Leibe: "Selbstverständlich. Der Termin steht allerdings schon länger fest und ist nicht aufgrund der jüngsten kritischen Äußerungen der Fraktionen zustande gekommen. In dem Gespräch soll es einmal um ganz praktische Dinge gehen wie den Zeitplan und die Logistik, die für den Transport der Statue und das Aufstellen notwendig sein wird. Und wir werden auch über den künstlerischen Ausdruck, das Aussehen der Figur sprechen. Bei seinen Besuchen in Trier habe ich den Botschafter als aufgeschlossenen Menschen kennengelernt, mit dem man offen sprechen kann."

Besteht denn die Möglichkeit, dass es eine Statue im Kunststil des - ideologisch aufgeladenen - stalinistischen Realismus sein wird, mit festem Blick gen Osten oder gar Hammer und Sichel in der Hand?
Leibe: "Ich verstehe es, wenn insbesondere Bürger, die in der DDR groß geworden sind, sagen, dass sie eine solche Figur nicht ertragen könnten. Und auch ich finde, dass es keine klassische stalinistisch-kommunistische Statue werden darf. Aber wenn man sich das Werkspektrum des Künstlers Wu Weishan anschaut, schrumpfen diese Befürchtungen: Unter den Hunderten Statuen ist nicht eine, die nicht abstrakt verfremdet ist und so eine kritische, distanzierte Haltung zu ihrem Original einnimmt."

Vize-Chef der Regierung Chinas besucht Trier

 Der neue Generalkonsul Chinas in Frankfurt trägt sich ein ins Goldene Buch der Stadt Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Der neue Generalkonsul Chinas in Frankfurt trägt sich ein ins Goldene Buch der Stadt Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter


Trier. Ma Kai, einer der vier stellvertretenden Ministerpräsidenten Chinas, die zusammen mit Ministerpräsident Li Keqiang die Regierung der Volksrepublik führen, hat am Donnerstag das Karl-Marx-Haus in der Brückenstraße besichtigt. Ma war auf der Durchreise von Luxemburg zum Frankfurter Flughafen und machte für den privaten Museumsbesuch nach TV-Informationen etwa eine Stunde Halt in Trier. Seitens der Leitung des Karl-Marx-Hauses gab es zu dem streng geheim gehaltenen Besuch am Freitag keine Stellungnahme.
Den bislang höchsten Besuch aus China verzeichnete das Karl-Marx-Haus übrigens 1979: Ministerpräsident Hua Guofeng - direkter Nachfolger Mao Zedongs als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas - war damals zu Gast in Trier.
Am Donnerstag hatte auch Wang Schunqing, neuer Generalkonsul der Volksrepublik in Frankfurt, die chinesische Delegation begleitet. Am Freitag weilte er erneut in Trier - diesmal, um sich in das Goldene Buch der Stadt einzutragen. Die Ideologie von Karl Marx habe in der Vergangenheit Chinas eine "bedeutungsvolle Rolle" gespielt, sagte Wang beim Pressetermin in Bezug auf die Marx-Statue, die die Volksrepublik Trier zum 200. Geburtsjahr des Philosophen und Ökonom schenken will. "Aber seit dem Ende der Kulturrevolution und der Öffnung Chinas nach außen spielt diese Ideologie in unseren zwischenstaatlichen, internationalen Beziehungen keine Rolle mehr. Wir wollen mit der Statue die Freundschaft unseres Staates zu Deutschland und der Stadt Trier zeigen. Wu Weishan ist zudem ein großer Künstler unseres Landes - ich bin mir sicher, dass die Statue ein großartiges Kunstwerk werden wird", sagte Wang.

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