Nervenkrieg der Nachbarn in der grünen Idylle

Trier · Der tödliche Schuss im Kleingarten "Vor Plein" zwischen den Trie-rer Stadtteilen Euren und Zewen ist die Eskalation eines offenbar jahrelang erbittert geführten Dauerstreits zwischen zwei Nachbarn. Ein Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte bereits 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist.

Nervenkrieg der Nachbarn in der grünen Idylle
Foto: Friedemann Vetter

Der 61 Jahre alte Mann auf der Anklagebank erlebt schwere Minuten. Noch hat die Verhandlung nicht begonnen, deshalb ist das Filmen und Fotografieren erlaubt. Fotografen und Kameramänner nehmen ihn und seinen Anwalt Andreas Ammer minutenlang in den Fokus. Er muss spätestens jetzt begreifen, dass er auf tragische Weise zu einer Berühmtheit geworden ist - als der Mann, der seinen Nachbarn erschossen hat.

Er blickt durch die Presseteams auf die andere Seite des Sitzungsraums. Dort sitzen die Witwe und der Sohn des Opfers mit ihren Anwälten. Beide sind Nebenkläger, ebenso die Tochter, die beim Prozessauftakt vor dem Trierer Landgericht nicht dabei ist. Der Angeklagte richtet das Wort nicht direkt an die Familie oder das Gericht. Er lässt seinen Anwalt Andreas Ammer eine lange Erklärung verlesen. Diese beginnt mit dem Satz "Ich bin kein Mann großer Worte" und wird sowohl zum Geständnis als auch zur Schilderung einer Katastrophe, die schon vor Jahren begonnen hat.

Im Mittelpunkt dieser Erklärung steht sein Nachbar im Kleingarten - das Opfer des Schusses vom 7. März. Schon diese kurze Schilderung macht deutlich, dass Streit ein zu harmloser und euphemistischer Begriff ist, um das Verhältnis dieser beiden Männer zu beschreiben. Krieg trifft es eher. Ein jahrelanger Nervenkrieg mit verbalen und körperlichen Angriffen und einer ständigen Atmosphäre der Feindschaft und Bedrohung.

"Ich habe auch viel falsch gemacht", lässt der Angeklagte seinen Anwalt verlesen. 2012 hat das Amtsgericht ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Er hat seinen Nachbarn mit Pflastersteinen beworfen und schwer verletzt. Lärm war offenbar ein ständiger Streitpunkt.

Den Ablauf des 7. März schildert der Angeklagte sehr detailliert. Der 61-Jährige räumt ein, mit einem Rasenmäher gearbeitet zu haben. Doch was wie ein Streit über Mähgeräusche beginnt, wird zur Tragödie. Ein Schuss fällt, der Nachbar wird in die Brust getroffen und stirbt an inneren Blutungen.

Das Schwurgericht wird sich im weiteren Prozessverlauf noch sehr genau damit beschäftigen, wie der Angeklagte seine Waffe gehandhabt hat. Er selbst räumt ein, er habe das Kleinkalibergewehr nach dem tödlichen Schuss noch einmal nachgeladen, weil das schwer verletzte Opfer nach einem weiteren Nachbarn gerufen hatte.

"Ich hatte panische Angst, dass der jetzt auch noch kommt und sie mich totschlagen", schildert der Beschuldigte in der Erklärung, die sein Anwalt verliest. Deshalb habe er nachgeladen, doch danach habe er die Waffe zurück in seine Laube gebracht. Dort findet sie später Oberkommissar Michael Hahn, der mit als Erster am Tatort eintrifft. Sehr nervös sei der Angeklagte gewesen, schildert Hahn. "Er hat die Tat gestanden und gesagt, er wollte sich nur verteidigen."

Wolfgang Retz begleitet den Prozess als forensischer Psychiater. Da der Angeklagte - abgesehen von der verlesenen Erklärung - keine Angaben machen will, bittet Richterin Petra Schmitz den Psychiater um Angaben zum Lebenslauf des 61-Jährigen, basierend auf den bisherigen Gesprächen. Retz berichtet: eine harte Kindheit in einem kinderreichen Elternhaus, keine Berufsausbildung, ein Leben als ungelernter Hilfsarbeiter auf dem Bau, Arbeitsunfälle und psychische Probleme. Er lebt seit Jahren von einer kleinen Rente.Extra

Mord oder Totschlag: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte den Tod seines Kontrahenten möglicherweise nicht geplant und eiskalt ausgeführt hat, aber zumindest billigend in Kauf nahm. Deshalb lautet die Anklage nicht auf Mord, sondern auf Totschlag. Das Strafgesetzbuch definiert Mord im Paragrafen 211. Dort heißt es: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln einen Menschen tötet." Mord wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Die Definition des Totschlags im Paragrafen 212 ist dagegen simpel: "Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft." Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist eine der Kernfragen des Strafrechts und ständig umstritten. Notwehr, so die Ermittler, liege im Fall des tödlichen Schusses im Kleingarten nicht vor. Für eine Notwehrsituation gebe es keine Anhaltspunkte. jpExtra

So geht es weiter: Die Verhandlung soll am 11. September, 2. Oktober und 7. Oktober weitergehen. Die Plädoyers und auch das Urteil könnten den Prozess demnach am 7. Oktober abschließen. Das kann sich jedoch jederzeit ändern. Schwer oder gar nicht erreichbare Zeugen oder weitere Anträge der Verteidigung, der Staatsanwaltschaft oder der Nebenklagevertreter können diesen Zeitplan verändern und weitere Verhandlungstage notwendig machen. jp

Mehr zum Prozess gibt es hier.

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