Netze gegen die "fliegenden Ratten"

TRIER. Hunderte Tauben sind gestern am frühen Morgen über der Neustraße in den Himmel gestiegen. Aufgeschreckt aus ihrem "Paradies" wurden sie von einer Trierer Dachdeckerfirma, die das zerfallende Haus in der Neustraße 84 im Auftrag des Ordnungsamtes "taubensicher" machen sollte. Für mehr als sieben Stunden war die Straße wegen der Dacharbeiten streckenweise gesperrt.

"Dicke Luft" im doppelten Sinne herrscht im Innenhof des Hauses 84 in der Neustraße: Unsichtbar, aber deutlich spür- und riechbar macht ein feiner Staub aus Taubenkot, Federn und Milben das Atmen schwer. Hinzu kommt die feindliche Atmosphäre zwischen Hausbesitzerin und den Arbeitern, die im Auftrag des Ordnungsamtes damit beschäftigt sind, Netze über die zerfallene Innenfassade und das löchrige Dach des Hauses zu ziehen. "Die Tauben sind nur gekommen, weil in den Hinterhöfen der Restaurants am Viehmarkt so viele Lebensmittel rumstehen", versucht die ältere Hausbesitzerin die Katastrophe zu erklären. Gesundheitsamt veranlasst Verfügung

Gut 50 Zentimeter hoch türmt sich der Taubenkot auf den zersplitterten Balken des Anbaus. Die Böden sind auf zwei Etagen eingebrochen. Die Scheiben sind kaputt. Auf halber Höhe bröckelt der Putz, Gras sprießt aus der Lücke zur Hauswand. "Die Fassade nach vorne zur Neustraße ist zwar noch stabil, aber der Anbau und das Dach sind auf jeden Fall einsturzgefährdet", sagt Dachdeckermeister Ulrich Glischke, der am Morgen mit seinen Mitarbeitern hunderte der "fliegenden Ratten" aus der Ruine verscheuchen musste. Vergangene Woche hatte ein städtischer Kammerjäger das Gebäude desinfiziert. Auf dringenden Rat des Gesundheitsamtes bestätigte der Stadtrechtsausschuss die dazu nötige Verfügung des Ordnungsamtes. Denn freiwillig lässt die Frau, die seit Jahren ohne Strom und Wasser in dem Haus lebt, niemanden in ihr Heim. Und auch jetzt schimpft sie darüber, wie böse ihr mitgespielt wurde. Ehemalige Mieter - eine Gaststätte - hätten Schäden an dem Haus verursacht, diese aber nie behoben. "Ich habe nicht eingesehen, dass ich das übernehmen soll", klagt die weißhaarige Dame voller Entrüstung. So blieb das Gebäude zwischen Neustraße und Viehmarkt seit den 70er-Jahren dem Verfall überlassen. Mehrere Versuche, der Besitzerin das Haus abzukaufen, scheiterten (der TV berichtete). "Ich gebe mein Eigentum doch nicht zum Schrottwert her", sagt die Frau.

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