Nicht wegsehen

TRIER. (mew) Sie schaut hin und hilft wo andere wegsehen: Seit 2002 ist die Sozialarbeiterin Ingrid Gödde beim Frauennotruf in Trier beschäftigt.

Die gebürtige Emsländerin hat es nach spannenden beruflichen Stationen an die Mosel gezogen, was sie genießt: "Anfangs war ich eher wie ein Tourist, mittlerweile fühle ich mich im Südviertel sehr wohl." Als Ausgleich zu ihrem nervenaufreibenden Job zieht es sie regelmäßig raus in die Natur oder aufs Laufband. Einen Perspektivenwechsel der krassen Art hat Ingrid Gödde vollzogen: Betreute sie früher Wohnungslose oder zeitweise eine ganze Horde gerade aus der Haft Entlassener (häufig Vergewaltiger) in Resozialisierungsmaßnahmen, lässt sie ihr soziales Know-How nun der Opferseite zukommen. In der Geschäftsstelle des Frauennotrufs stellt sie von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen Gesprächsangebote und Unterstützung für eventuell folgende Gerichtsverfahren zur Verfügung: "Die Nachfrage könnte noch stärker sein, aber wir haben eine wirklich gute Lobby hier in Trier." Hohe Nachfrage bedeutet immer auch hohes Angebot, demnach könnte man froh sein, wenn die hellen Korbsessel in dem gemütlichen Gesprächszimmer in der Deutschherrenstraße so oft wie möglich unbesetzt bleiben. Allerdings sind die Gründe für die Zurückhaltung wohl anders gelagert: sexualisierte Gewalt ist nach wie vor ein Thema, mit dem man beziehungsweise frau sich am liebsten gar nicht erst konfrontiert sieht. Kommt sie zwangsweise damit in Berührung, flüchten sich viele aus Scham erst einmal in die passive Opferrolle. Genau diese Haltung möchte Ingrid Gödde ändern. Wer nun jedoch eine kompromisslos-kämpferische Feministin mit ausgeprägter Abneigung gegen die männliche Spezies erwartet, liegt falsch. Aufgewachsen in der Idylle des elterlichen Bauernhofs im Emsland, hat sie als Schwester von fünf Brüdern früh gelernt, sich gegenüber dem starken Geschlecht zu behaupten. Eine Fähigkeit, die ihr in ihrem Berufsleben mehrfach zugute kam. Doch auch Bürojobs sind ihr nicht fremd. Nach einer zwischenzeitlichen Leitungsposition hinter den Kulissen, hat es sie wieder in die Praxis gezogen. "Es war wunderbar, diese Macht und damit Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, aber nach sechs Jahren hatte ich genug davon und wollte wieder direkt mit Betroffenen arbeiten", erzählt die 46-Jährige. Ihre stetig gestikulierenden Hände unterstützen ihre agile Lebenseinstellung: "Ich versuche immer in Bewegung zu sein" - eine Aussage, die durchaus wörtlich zu nehmen ist. Allerlei sportliche Aktivitäten, die ihr locker eine zweite Karriere als Triathletin erlauben würden, helfen ihr zu entspannen und die grausamen Gewalttaten des Arbeitsalltags nicht in das Privatleben eindringen zu lassen. Eine Abschalt-Alternative findet Ingrid Gödde in kulturellen Angeboten der Region. So zieht es sie zielsicher regelmäßig ins Programmkino in der Paulinstraße, in die Tufa oder zur Kulturfabrik in Esch. Aber auch Massenveranstaltungen schrecken sie nicht ab: "Für die einen ist es Hansi Hinterseer, für mich Sting. Ich falle zwar nicht schweißnass um, wenn ich ihn sehe, aber er ist ein politischer Mensch, und ich finde seine Musik klasse." Ingrid Gödde ist ein Energiebündel, die auch in ihrer Freizeit auf soziales Engagement setzt. So hat sie sich im vergangenen Sommer zur Lehrerin für Selbstbehauptung ausbilden lassen. "Langeweile ist für mich das Schlimmste, das es gibt", sagt sie.

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