Psychiater: Schuldfähigkeit steht fest

Trier · Jeder Platz ist besetzt, als Richterin Petra Schmitz am Dienstag die Verhandlung um den tödlichen Gewehrschuss im Kleingarten "Vor Plein" aufruft. Die Zuschauer erleben ein langes Wortduell zwischen Verteidiger Andreas Ammer und Psychiater Wolfgang Retz.

 Ein Holzkreuz mit dem Porträt des Opfers erinnert in der Kleingartenanlage bei Euren an die Tat vom 7. März. TV-Foto: Friedemann Vetter

Ein Holzkreuz mit dem Porträt des Opfers erinnert in der Kleingartenanlage bei Euren an die Tat vom 7. März. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Es sind bewegende Momente im Sitzungssaal des Trierer Landgerichts. Gerade hat die Vorsitzende Richterin die Verhandlung für heute beendet, am 4. November wird es weitergehen. Viele der Zuschauer gehen sofort zur Anklagebank und nutzen die Gelegenheit, dem dort sitzenden 61-Jährigen Mut zuzusprechen. Ein paar freundliche Worte, eine kurze Umarmung. Die Justizwachtmeister beweisen Fingerspitzengefühl und lassen diese Gesten zu. Dann legen sie dem Mann Handschellen an und führen ihn zurück in die Untersuchungshaft, in der er seit März sitzt.
Der Trierer hat seinem 68-jährigen Grundstücksnachbarn mit einem Kleinkalibergewehr in die Brust geschossen. Er habe ihn nicht verletzen oder gar töten wollen - diese Erklärung des Angeklagten hat sein Verteidiger Andreas Ammer schon am ersten Prozesstag verlesen (der TV berichtete). Er habe sich nur verteidigen wollen, habe große Angst gehabt, der Nachbar wolle ihn angreifen. Den tödlichen Schuss habe er nicht bewusst ausgelöst.
Die Anklage lautet auf Totschlag. Im Fall eines Schuldspruchs liegt das Strafmaß zwischen fünf und 15 Jahren. Die Schuldfähigkeit spielt eine zen trale Rolle. War der 61-Jährige klar in Gedanken und frei von Psychosen, Wahnvorstellungen oder auch Drogen- oder Alkoholeinflüssen, als er die Waffe auf seinen Nachbarn richtete, mit dem er seit Jahren in erbittertem Streit lag? Wolfgang Retz ist Professor der Psychiatrie an der Uni Mainz. Er präsentiert am Dienstag in Trier seine Schlussfolgerungen aus einer zweistündigen Sitzung mit dem Angeklagten. Retz und Verteidiger Ammer sind damit die Einzigen, denen der Angeklagte seine Sicht der Dinge im direkten Gespräch schildert. Vor Richterin Schmitz und der Strafkammer macht er dagegen von seinem Schweigerecht Gebrauch.
Die Aussagen des Psychiaters sind eindeutig. Keine psychische Erkrankung, keine Bewusstseinsstörung, keine Suchterkrankungen zum Tatzeitpunkt. "Es waren keine Einschränkungen festzustellen, die für die Schuldfähigkeit von Bedeutung wären", betont der Professor. Der Angeklagte sei nüchtern und klar gewesen, als der Schuss fiel. Er könne sich an das Geschehen lückenlos erinnern.
Verteidiger Andreas Ammer ist nicht zufrieden mit diesem Gutachten, daran lässt er keinen Zweifel. Ammer hatte bereits an einem früheren Prozesstag von den Strafrechtsparagrafen 20 und 21 gesprochen. Beide drehen sich um die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (20) oder aufgrund einer verminderten Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen (21). Mehrmals fragt er den Gutachter, ob er bestimmte Dinge gezielt und "klinisch" hinterfragt habe, ob er jede Form der Bewusstseinsstörung oder Beeinträchtigung ausschließen könne. Wolfgang Retz bleibt bei seiner Diagnose: Die Schuldfähigkeit ist nicht beeinträchtigt.
Der Prozess geht am 4. November mit den Plädoyers der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und der Nebenkläger weiter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort