Richter: Kein fairer Prozess möglich - Landgericht stellt Missbrauchsverfahren gegen 91-Jährigen ein

Trier · Schon 2012 hat ein heute 91-Jähriger vor dem Trierer Landgericht wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht gestanden. Die Klärung der Frage, ob der Mann überhaupt verhandlungsfähig sei, hat sich bis 2015 hingezogen. Jetzt ist das Gericht dem aktuellen Eindruck eines Sachverständigen gefolgt und hat den Prozess eingestellt.

Trier. Vor der Großen Jugendkammer des Trierer Landgerichts ist am Montag ein Prozess um den sexuellen Missbrauch von Kindern gleich eingestellt worden - weil Richter und Gutachter zur Ansicht gelangt sind, dass dem 91-jährigen Angeklagten kein fairer Prozess gemacht werden könne.
Laut Anklageschrift soll der damals im Hochwald lebende Witwer zwischen 2008 und 2011 drei Mädchen im Alter von fünf bis elf Jahren, "sexuell motiviert" im Brust- und Genitalbereich berührt haben.
Der Beschuldigte, der bereits einen Schlaganfall und mehrere Herzinfarkte erlitten hat und in einem Pflegeheim versorgt wird, sei aber zunächst in derartig bedenklichem Zustand, dass es schon fraglich sei, ob ihm eine auf zunächst drei Tage angelegte Verhandlung überhaupt zugemutet werden könne, erkannte das Gericht.
Zudem hatte ein forensischer Sachverständiger kurz zuvor dargelegt, dass mit dem äußerlich erkennbaren Verfall auch ein geistiger Abbau einher gegangen sei: Während einfache Sachverhalte mit dem hochbetagten Mann durchaus noch zu klären seien, gingen komplexere Sachverhalte über das Fassungsvermögen des 91-Jährigen wohl schnell hinaus. Ein fairer Prozess, dem der Angeklagte mental zu folgen in der Lage wäre, sei kaum zu führen.Prozesstauglichkeit schwindet


Zu dieser Ansicht sind zunächst der Sachverständige und dann das Gericht letztlich durch ein zehnminütiges Gespräch gekommen, das der Fachmann in einer Verhandlungspause mit dem Angeklagten geführt hat.
Dabei hatte der Prozess gegen den Senioren bereits vor gut drei Jahren begonnen. Doch schon 2012 hatte das Trierer Gericht wegen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit ein rechtsmedizinisches Gutachten in Auftrag gegeben. Im Juni 2014 fertig gestellt, bescheinigte das Papier zwar noch eine gewisse Prozesstauglichkeit. Doch fast ein weiteres Jahr später hat nun der im Gerichtssaal anwesende Gutachter die Lage noch einmal pessimistischer eingeschätzt.
Der Vorsitzende Richter Albrecht Keimburg erklärte also schließlich die Einstellung des Verfahrens - und stieß damit weder bei der Staatsanwältin Frauke Straaten noch bei Stephan Stock, Anwalt des Angeklagten, auf Widerstand. Der Richter verteidigte abschließend noch einmal die langwierige Entscheidungsfindung: "Gutachten brauchen nun mal ihre Zeit", sagte Keimburg. Das Gericht habe aber "von Anfang an den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte sehr alt und sehr krank ist".
Und schließlich sei das Gericht in der Zwischenzeit keinesfalls untätig gewesen: "Wir haben in dieser Zeit viele Haftsachen verhandelt, die sicherlich wichtiger waren."
Anwalt Stephan Stock zeigte sich zufrieden mit der Entscheidung, die keine Entscheidung in der Sache gewesen war - auch wenn das aus Sicht etwaiger Opfer unbefriedigend sei: "Es gehört zu unserer Strafprozessordnung, dass manche Dinge ungeklärt bleiben."
Gegen das Urteil kann eine Woche lang Revision eingelegt werden. Theoretisch könnte der Prozess wieder aufgerollt werden, wenn es dem Angeklagten wieder besser geht.

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