Schicksalhafte Befunde

TRIER. "Pathologie" steht in schlichten Lettern auf dem Gebäude gegenüber der Hauptpost. Residiert hier etwa der Fernsehdoktor "Quincy", der mit der Knochensäge an Mordopfern hantiert, während seine Studenten vor Entsetzen in Ohnmacht fallen? Der TV hat sich vor Ort umgeschaut.

 Mitarbeiterin Tanja Kiemen zeigt die fertig präparierte Serie einer eingereichten Probe. Die hauchdünnen Gewebeschnitte wurden zuvor im Gerät neben ihr eingefärbt, um ihre Strukturen besser erkennbar zu machen. TV-Foto: Claudia Neumann

Mitarbeiterin Tanja Kiemen zeigt die fertig präparierte Serie einer eingereichten Probe. Die hauchdünnen Gewebeschnitte wurden zuvor im Gerät neben ihr eingefärbt, um ihre Strukturen besser erkennbar zu machen. TV-Foto: Claudia Neumann

"Obduktionen gehören zwar auch zu unseren Aufgaben", erklärt Professor Jörg Kriegsmann, "die führen wir aber hier nicht durch." Autopsien nähmen die Pathologen im Brüderkrankenhaus vor. Davon gebe es etwa 60 pro Jahr. Und zur Begutachtung von Kriminalfällen reisen Rechtsmediziner von außerhalb an. Das hauptsächliche Arbeitsfeld der Trierer Pathologen liegt bei der Begutachtung von Proben menschlichen "Materials". "Alles, was irgendwo herausoperiert oder entnommen wird, landet bei uns", sagt Dr. Mike Otto. Zu dieser Umschreibung gehören auch Proben von Routine-Vorsorgeuntersuchungen. "In 80 Prozent der Fälle geht es darum, Tumore zu bewerten", erläutert Otto. Hinzu kommen Infektionskrankheiten und - ein Trierer Spezialgebiet - Gelenkerkrankungen.Arbeitsstätte für 50 Mitarbeiter

Die Pathologie Trier - mit vollem Namen "Zentrum für Histologie, Zytologie und Molekulare Diagnostik Trier" - ist eine private Gemeinschaftspraxis unter Leitung von fünf Pathologen, keine staatliche Stelle. Das Institut arbeitet mit dem Brustzentrum des Mutterhauses zusammen und beteiligt sich an einem Qualitätsmanagement-System. Es ist die einzige Einrichtung ihrer Art in der Region. 50 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Zu ihren "Kunden" gehören rund 20 Krankenhäuser und mehrere tausend niedergelassene Ärzte. "Das Material", wie Dr. Otto es nennt, kommt mit einem Formular in der Patholgie an. Es durchläuft eine feste Reihenfolge von Bearbeitungsschritten. Zunächst begutachten Mitarbeiterinnen die Proben und versehen sie mit einer Eingangsnummer. Dann erfolgt der "Zuschnitt". Die Proben werden in Plastikkapseln gelegt und mit Paraffin versehen. Am nächsten Arbeitsplatz tragen die Mitarbeiterinnen hauchdünne Schnitte des erstarrten Paraffin-Proben-Mixes ab, bringen sie auf Glasobjektträger auf und versehen diese mit der Fallnummer. "Es ist enorm wichtig, dass die den Formularen zugeordneten Nummern nicht vertauscht werden", erläutert Dr. Otto. Würden hier zwei Proben verwechselt, hätte das für den Patienten fatale Folgen. Durch Hitzeeinwirkung fließt im nächsten Arbeitsschritt das Paraffin von den Objektträgern ab und lässt das reine Material zurück. Es wird anschließend automatisch eingefärbt. Auf den Objektträgern sind nun lila Ringe, rote Flecken oder blaue Schattierungen erkennbar. Viele hundert Proben werden hier pro Tag in dieser Weise präpariert. Rund 100 000 Fälle untersuchen die fünf Pathologen pro Jahr. In seinem Büro betrachtet Dr. Otto einen der Objektträger unter dem Mikroskop und diktiert seinen Befund. In diesem Fall kann der Patient sich freuen: Der Tumorverdacht bestätigt sich nicht. Andere haben nicht so viel Glück.15 bis 20 neue Krebsdiagnosen am Tag

15 bis 20 neue Krebsdiagnosen stellt Otto pro Tag. "Die Verantwortung ist extrem hoch, denn von unserer Diagnose hängt die weitere Behandlung ab", sagt er. Im Rahmen der Arbeit für das Brustzentrum nehmen die Pathologen auch an den Besprechungen zur Behandlung der Patientinnen teil. Frauenschicksale, aufgezeichnet auf nüchternen Formularen, füllen reihenweise Aktenordner in Ottos Büro. 70 bis 90 Stunden pro Woche verbringe er bei der Arbeit, berichtet er. Wie im gesamten Gesundheitswesen sei auch hier der finanzielle Druck sehr hoch. Trotzdem nähmen sich die Pathologen zusätzlich Zeit für ihre Lehrtätigkeit an der Universität Mainz und der Berliner Charité und entwickelten außerdem eine Klassifikation zum Gewebeabrieb bei Implantaten. Im Keller des Instituts hat sich derweil im Lauf der Zeit ein gigantisches Archiv ausgewerteter Proben angesammelt. 30 Jahre lang müssen sie aus Gewährleistungsgründen aufbewahrt werden. Langsam platzt die Pathologie aus allen Nähten. Ihre Tage in der Moltkestraße sind daher gezählt: Demnächst ist ein Umzug in großzügigere Räumlichkeiten auf dem Petrisberg geplant.

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