Schulbehörde suspendiert Lehrer

Trier · Wegen eines teils sehr persönlichen Fragebogens wurde ein Pädagoge eines Trierer Gymnasiums vorläufig vom Dienst enthoben. Derselbe Lehrer ist angeklagt, 2015 an seiner Ex-Schule eine Amokdrohung per E-Mail verschickt zu haben.

Trier Das Schuljahr ist erst wenige Tage alt, als der neue Lehrer im Leistungskurs Französisch der Jahrgangsstufe 11 seinen Schülern einen neunseitigen Fragebogen vorlegt. "Ich möchte von meinem Lehrer geduzt werden", lautet die erste Ankreuzmöglichkeit. "Ich möchte meinen Lehrer duzen", die zweite, jeweils mit Ja oder Nein zu beantworten.
Wie seine Schüler die Sache mit dem Du in der Oberstufe sehen, wartet der 31-jährige Pädagoge allerdings gar nicht erst ab. Konsequent duzt er seine größtenteils 16- bis 17-jährigen Schüler auf den folgenden acht Seiten.
Welche sozialen Internet-Netzwerke sie nutzen, Handynummern, E-Mail-Adressen - für schulische und private Kontaktaufnahme - fragt der Französischlehrer ab. Neben schulorganisatorischen Fragen - zum Beispiel, ob man Interesse an fremdsprachlichen Wettbewerben hat - geht es auch darum, ob man Vegetarier oder Veganer ist und unter welchen Krankheiten man leidet. Summiert sind diese Fragen unter der Überschrift "Pflichtteil". "Dein Lehrer trägt für dich eine große Verantwortung und möchte immer für dich da sein, wenn du ihn brauchst", begründet der Pädagoge die detaillierten Nachfragen. Dass die Angabe von Handynummern und E-Mail-Adressen "natürlich freiwillig ist", schiebt er auf Seite 5 nach - dann also, wenn so mancher Schüler den "Pflichtteil" schon ausgefüllt haben dürfte.
Im "freiwilligen Teil" des Fragebogens wird's noch persönlicher. Hobbys, Lieblingsmusikrichtung, -buch, -film, -sport und den Traumberuf will der Lehrer wissen. Die Schüler sollen sich mit drei Charaktereigenschaften selbst beschreiben, ihre "besonderen Vorlieben" nennen und ihre Religion.
Auf Skalen soll eingetragen werden, ob sie sich eher einen Lehrer wünschen, der sich zurückhält oder eher "viel selbst vormacht", der "eher nachsichtig oder eher streng" ist und wie man sich im Unterricht fühlt.
Gleich mehrfach fragt der Lehrer, ob sich die Schüler "private Kurstreffen" mit ihm wünschen, etwa einen "Videonachmittag beim Lehrer zu Hause (herzliche Einladung)".
Ganz am Schluss bietet der Lehrer den Schülern an, über "sehr persönliche Sachen" mit ihm "im Vertrauen unter vier Augen zu sprechen", Dinge etwa, die "total peinlich sind, vor denen ich Angst habe", "etwa zum ,Erwachsenwerden' oder den Themen ,Freundschaft' oder ,Mobbing'".
"Du bist ab heute Mitglied der ,Familie' des Stammkurses Französisch 11. Dein Lehrer wird dich ab heute wie einen ganz normalen Freund/eine ganz normale Freundin und als Familienmitglied behandeln", schreibt der Pädagoge. Die "professionelle Distanz, zum Beispiel bei der Notengebung" bliebe dabei immer gewahrt, versichert der Lehrer.
Der ungewöhnliche Fragebogen hat nach TV-Informationen viele Eltern verunsichert. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD hat ihn zum Anlass genommen, den Lehrer vom Unterricht vorläufig zu suspendieren. Äußern will die Schulbehörde sich aus "beamtenrechtlichen Gründen" zu der Sache nicht.
Nach TV-Informationen soll der Lehrer sich gegenüber der ADD erklären. Die Rechtsanwältin des Pädagogen, Susanne Walther, hat bezogen auf den Fragebogen "juristisch keinerlei Bedenken". Die Fragen des Pflichtteils seien auf "rein schulische Gründe gestützt", und zwar sowohl organisatorischer Art als auch mit Blick auf das Obhutsverhältnis des Lehrers gegenüber seinen Schülerinnen und Schülern. "Völlig legitim erscheint es auch, auf diesem Wege nähere Informationen über die besonderen Interessen und Neigungen der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf Themen des Unterrichts und Gestaltung der schulischen Aktivitäten einzuholen", erklärt die Rechtsanwältin. Schule habe laut Landesverfassung einen "eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag", aus dem sich die pädagogische Freiheit des Lehrers ableite, erklärt die Jura-Professorin. Laut Schulgesetz habe "der Lehrer dabei insbesondere die Pflicht, seine Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Neigungen und Interessen individuell zu fördern". Der Fragebogen schaffe eine Grundlage dafür. "Das Schulgesetz gibt zudem gar kein starres Distanzgebot vor - was wohl häufig missverstanden wird - sondern fordert lediglich den verantwortungsvollen Umgang mit Nähe und Distanz."
Auch der Lehrer wendet sich in einer langen E-Mail an den TV: "Ich kann Ihnen versichern, dass ich es mit dem Fragebogen besonders gut gemeint habe", erklärt der Pädagoge. Sich mit Schülern zu duzen sei an vielen anderen Schulen längst Standard.
Der Elternbeirat der Schule will sich zu der Sache nicht öffentlich äußern.
Im Internet hat ein Schüler eine Petition gestartet, die mit "Wir wollen unseren Lehrer zurück!" überschrieben ist. 61 Unterstützer haben den Antrag, der an ADD und Schule gerichtet ist, bis gestern anonym unterzeichnet.
Mehrere Schüler, mit denen der TV persönlich gesprochen hat, beschreiben den Lehrer als sympathisch und als einen der beliebtesten Pädagogen der Schule. Tatsächlich ist der 31-Jährige zur Wahl des Vertrauenslehrers vorgeschlagen und von der Schulleitung des Trie rer Gymnasiums erst kürzlich mit Bestnoten bewertet worden für seine pädagogischen Leistungen.Extra: VOR GERICHT WEGEN AMOKDROHUNG


Der Fragebogen ist nicht die einzige Sache, wegen der der Trierer Gymnasiallehrer sich zurzeit verantworten muss. Vor dem Amtsgericht Idar-Oberstein ist er angeklagt, im Juni 2015 einen Amoklauf angekündigt zu haben. "Achtung Amoklauf" war die E-Mail am Schulzentrum Birkenfeld überschrieben. Bei den Bundesjugendspielen werde es Hunderte Tote geben, "wenn die Kids außer Atem sind, schießen wir um uns", hieß es in der Mail, von der die Staatsanwaltschaft Idar-Oberstein glaubt, dass sie der 31-jährige Lehrer verschickt haben soll. Wegen formaler Probleme ist der Prozess, der im Juni 2017 begonnen hatte, derzeit unterbrochen, soll aber laut Amtsgericht Ende des Jahres wieder aufgenommen werden. "Ich gehe nicht davon aus, dass es in dem Indizienprozess zu einer Verurteilung kommen wird. Die Vorwürfe gegen meinen Mandanten werden sich nicht beweisen lassen. Es gilt die Unschuldsvermutung", hatte Rechtsanwalt Andreas Mroß, der den Lehrer in diesem Fall vertritt, gegenüber dem TV erklärt. Ob der Lehrer noch vor dem erneuten Prozessbeginn Ende 2017 an das Trierer Gymnasium zurückkehrt, ist ungewiss.

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