Schulbuchausleihe in Trier: Ganz schön teure Lernmittelfreiheit - Schicken Sie uns Ihre Erfahrungen!

Trier · Nur knapp die Hälfte aller Trierer Schüler macht mit beim Schulbuch-Ausleihsystem. Auch, weil die finanzielle Entlastung vor allem in der Grundschule gering sein kann.

Lernmittelfreiheit: So taufte die damalige rot-grüne Landesregierung die Einführung der Schulbuch-Ausleihe kurz vor der Landtagswahl 2011. Doch der Begriff hält nicht das, was er verspricht: Tatsächlich kostenlos sind Schulbücher und Arbeitshefte nur für Familien mit recht geringem Einkommen - bei zwei Erwachsenen mit einem Kind liegt die Bruttoobergrenze bei 26.500 Euro, bei zwei Kindern sind es 30.000 Euro.

Alle, die mehr verdienen, können am Ausleihsystem zwar ebenfalls teilnehmen, zahlen dafür allerdings ein Drittel des Buchpreises als Gebühr.

Zumindest diese Vergünstigung wollte Familie Becker (Name geändert) aus Trier-Ehrang zum Schulstart ihrer Tochter nutzen. "Heraus kam allerdings, dass wir kein einziges Buch, kein einziges Heft über das Ausleihsystem erhalten", sagt Vater Ralf. Denn im ersten Schuljahr lernen die I-Dötzchen fast ausschließlich mit Lese- oder Rechenheften, in die direkt hineingeschrieben wird. Und solche Arbeitsmaterialien, die nicht im nächsten Jahr an ein anderes Schulkind weitergegeben werden können, sind von der kostenpflichtigen Schulbuchausleihe ausgeschlossen. "Nur ein Buch - eine Fibel - hätten wir grundsätzlich ausleihen können", berichtet Becker weiter. "Aber die Grundschule Ehrang nutzt ein anderes Lesebuch - das auf den Ausleihlisten des Landes nicht aufgeführt ist."

Knapp 200 Euro hat Familie Becker insgesamt für Schulhefte, Bücher und Arbeitsmaterialien ausgegeben. "Hätte ich gewusst, was tatsächlich hinter dem Begriff Lernmittelfreiheit steckt, hätten wir uns das komplizierte, zeitaufwendige Anmeldeverfahren übers Internet sparen können", sagt Vater Ralf.

So denken offenbar auch andere Trierer Familien: Von den rund 10.630 Schülern, die laut Stadtverwaltung an den städtischen Schulen am Ausleihsystem teilnehmen können (auch Schüler von Privatschulen können partizipieren, sind aber in der Statistik der Stadt nicht erfasst), machen nur 5180 Schüler und Schülerinnen mit. Das entspricht einer Teilnehmerquote von knapp 49 Prozent.

Das Land zahlt die Anschaffung der Leihbücher. Die Stadt ist für die Organisation zuständig. Und die ist aufwendig: Jedes einzelne Buch muss in einem Computersystem erfasst, einem bestimmten Schüler per Digitalcode zugewiesen und diesem Schüler ausgehändigt werden. Am Ende des Schuljahres werden die Bücher zurückgenommen, sortiert, auf Schäden kontrolliert, gegebenenfalls neu bestellt, im Computersystem eingebucht und anschließend wieder für den Neuverleih bereit gestellt. Mit insgesamt 40.000 Büchern haben die Mitarbeiter des Trierer Bürgerservice in den vergangenen Monaten so verfahren (siehe Extra).

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Liebe Eltern! Welche Erfahrung haben Sie mit der Schulbuchausleihe gemacht? Schildern Sie uns Ihre Erfahrungen per E-Mail an echo@volksfreund.de , Stichwort "Schule".
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Zwischen 185.000 Euro und 200.000 Euro gibt die Stadt jährlich für diesen Verwaltungsaufwand aus. "Umgerechnet auf die Teilnehmer hat die Organisation der Ausleihe im Schuljahr 2016/17 rund 36,50 Euro pro Schüler gekostet", rechnet Ralf Frühauf, Pressesprecher der Trierer Stadtverwaltung, auf TV-Nachfrage vor. Das Land erstattet der Stadt allerdings nur eine Verwaltungskostenpauschale von 12 Euro bei Grundschülern und 14 Euro bei Schülern weiterführender Schulen. "Trier fährt somit ein jährliches Defizit im hohen fünfstelligen Bereich ein", sagt Rathaussprecher Frühauf.

Dabei hatte das Land nach dem gesetzlich verankerten Konnexitätsprinzip - einfach ausgedrückt: "Wer bestellt, bezahlt" - bei der Einführungder Schulbuchausleihe zugesagt, den Kommunen die Kosten dafür zu ersetzen. Seit Jahren streitet sich allerdings der rheinland-pfälzische Städtetag mit dem Land darüber, wie viel die Ausleihe kosten darf. Noch gibt's keine Einigung.

Nicht nur die Eltern, auch die Stadt kommt damit die Lernmittelfreiheit zumindest bislang teuer zu stehen. Meinung

Unausgegorenes Gesetz

Kurz vor der Landtagswahl 2011 wollte die damalige SPD-Regierung nochmal als Wohltäter auftreten - und boxte innerhalb weniger Monate das neue Schulbuchausleihsystem durch. Ohne Testlauf, ohne konkrete Pläne, wie die Ausleihe organisiert werden soll, mussten Kommunen und Schulen ins kalte Wasser springen.
Wenigstens die großen technischen Schwierigkeiten, die das unausgereifte Computersystem anfangs bereitete, sind mittlerweile offenbar ausgemerzt.
Von einem Erfolg kann bei einer Teilnahmequote von 49 Prozent und einem hohen fünfstelligen Defizit, das das Land mit seinem schlecht gemachten Gesetz der Stadt aufgebrummt hat, allerdings nicht sprechen.
Die Landesregierung sollte das Leihsystem reformieren: Die Einkommensgrenze für die echte Lernmittelfreiheit muss deutlich erhöht werden. Alle, die wirklich gut verdienen, sollen dagegen ihre Bücher selbst kaufen. Das würde den bürokratischen Aufwand des Leihsystems - und damit die Kosten, auf denen die Stadt sitzen bleibt - stark minimieren. c.wolff@volksfreund.de

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Korrektur: In einer ersten Version hieß es, dass die damalige rot-grüne Landesregierung das Gesetz zur Lernmittelfreiheit 2010 auf den Weg gebracht habe. Das ist falsch. Die Grünen waren 2010 noch nicht im Landtag. Urheber des Gesetzes ist alleine die SPD. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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