So nah und doch so hilflos

TRIER. Die letzte Lebensphase ist oft ein schwer zu schulternder Kraftakt: für sterbende, leidende Menschen, für Angehörige. Die Teilnehmer des neunten Trierer Hospiztages beschäftigten sich mit der Beratung und Begleitung in Familien mit sterbenden Angehörigen.

Wenn ein Familienmitglied krank wird, gerät das gesamte Familiensystem aus dem Gleichgewicht. Referentin Marie-Louise Bödiker-Lange, Diplom-Psychologin aus Berlin, stellte am Hospiztag das so genannte systemische Arbeiten in der Sterbebegleitung vor: Man geht davon aus, dass jedes Familienmitglied eine bestimmte Rolle hat und es verschiedene Wechselwirkungen innerhalb des Systems "Familie" gibt. "Vergleichbar mit einem Mobile. Verändert sich ein Element, dann gerät das Mobile in Schieflage." Krankheit bedeute Veränderung, und Veränderung mache Angst. Folge: Es komme zu Überforderungen. Es entstünden Ängste wie die Kranken nicht richtig versorgen, nicht loslassen zu können oder Fehler zu machen. Familien mit sterbenden Angehörigen seien großen psychischen Belastungen ausgesetzt. "Das Leben scheint zu entgleisen, es kommt zu Angst vor Kontrollverlust", sagte die Psychologin. "Die Familie erlebt eine Krisenzeit"

"Die Familie erlebt eine Krisenzeit. Lebensplanungen müssen angepasst werden." Dies alles bedeute, dass die Angehörigen häufig über ihre Grenzen gefordert seien und Hilfe benötigten. Bödiker-Lange: "Sie müssen mitbetreut und begleitet werden." Die Unterstützung von Außenstehenden zuzulassen, gehe häufig mit der Sorge um Kontrollverlust einher. Es herrsche Angst, dass eventuell Familientabus aufgebrochen werden oder Sterbende gar weggenommen werden könnten. Wenn Familien es zulassen, dass "Profis" ihnen in dieser schwierigen Lebensphase zur Seite stehen, dann gibt es laut Bödiker-Lange, einige Regeln zu beachten: Familien dürften sich nicht ausliefern, es dürfe kein Abhängigkeitsverhältnis entstehen. Für Begleiter gelte: "Die Hände auf dem Rücken, das Pflaster auf dem Mund." Familien mit schwer kranken Menschen seien nicht krank und nicht therapiebedürftig. Ihnen fehle in dieser schweren Situation lediglich die Erfahrung, und sie würden an Grenzen stoßen. "Ihnen gebührt Achtung und Respekt." Auch gegenüber den Strategien, die sie entwickelt haben. Der Blick müsse auf die Ressourcen gerichtet werden: Welche Bewältigungsstrategien sind vorhanden? Wo liegen verschüttete Ressourcen? "Jeder bringt sich auf seine Art ein", sagte Bödiker-Lange. Wichtig im Umgang miteinander sei eine offene Kommunikation. "Das schafft Respekt und Nähe." Zudem sei es bedeutsam, den Balanceakt zwischen Über- und Unterversorgung zu schaffen. Die Situation von Angehörigen in der Sterbebegleitung sei eine Zeit lang aus dem Blickfeld geschoben worden. "Durch die Hospizbewegung sind Sterbende wieder in die Familien zurückgekehrt", sagte die Referentin. "Die Angehörigen werden leicht übersehen, dabei sind sie eine wichtige Stütze für die leidenden und sterbenden Menschen. Sie bedürfen der Hilfe, weil die Überforderung oft alle Grenzen überschreitet." Nach dem Vortrag setzten sich die Teilnehmer des neunten Trierer Hospiztages mit dem Thema "Ressourcen entdecken, Ressourcen stärken" in verschiedenen Workshops und Arbeitsgruppen auseinander. Veranstalter des Hospiztages waren elf Institutionen. "Ein Zeichen eines gut funktionierenden Netzwerkes", so Bernd Steinmetz von der Katholischen Akademie. Bericht zum HospizhausS. 4

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort