Spannende Forschung auf dem Trierer Hauptfriedhof

Trier · Was ein Grab mit Mode zu tun hat und warum eine weiße Katze mit roter Schleife am Ohr den gesellschaftlichen Wandel verkörpert, untersucht der Wissenschaftler Christoph Streb derzeit in der Großregion.

Spannende Forschung auf dem Trierer Hauptfriedhof
Foto: Friedemann Vetter (ClickMe)

Der über 200 Jahre alte Hauptfriedhof in Trier-Nord ähnelt einem Park. Mit 15 Hektar ist er auch die größte Grünanlage im Stadtgebiet. Wuchtige Gründerzeitgräber aus dem 19. Jahrhundert, die zum Teil mit aufwendigen Skulpturen versehen sind, erwarten den Besucher gleich hinter dem repräsentativen Eingang an der Herzogenbuscher Straße. Verteilt über das weitläufige Gelände finden sich ebenso Grabmale anderer Art, etwa die Kreuze der Weltkriegsgräber oder armdicke Grabplatten. Flussaufwärts in Trier-Süd liegt der Mattheiser Friedhof im Schatten der gleichnamigen Abtei. Das kleine Areal, das sich eng an das rechte Seitenschiff der Matthias-Basilika schmiegt, kann man von fast jeder Stelle aus gut überblicken. Schon seit der Stadtgründung befand sich hier eine Begräbnisstätte. So stößt man in der Krypta der Quirinus-Kapelle noch auf einen römischen Sarkophag. Oberirdisch stehen auffällig viele handgearbeitete Grabsteine aus Sandstein oder Basalt, zwischen denen sich schmale Gehwege schlängeln.

Eigener Charakter der Friedhöfe Christoph Streb erforscht diese und weitere Orte der Trauer und Erinnerung. Seit 2015 promoviert der 38-Jährige an der Universität Luxemburg über die christliche Friedhofskultur der Großregion. Zusammen mit einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern versucht der gebürtige Pfälzer herauszufinden, wie sich die Grabkultur in den Grenzgebieten seit der Französischen Revolution verändert hat. Dafür vermessen sie ausgewählte Friedhöfe in Luxemburg, Belgien, Frankreich und Deutschland, unter anderem mit Hilfe von Drohnen. "Wir machen sozusagen von jeder Blume ein Bild."
Mit den gewonnenen Daten wird ein eigens dafür entwickeltes Computerprogramm gefüttert, das den Wandel in Grafiken begreifbar macht. Zudem fragen sie in Interviews Hinterbliebene und Steinmetze nach den Gründen für die Grabgestaltung. Erste Ergebnisse ihrer Arbeit liegen bereits jetzt vor.
"Es gibt nicht das eine, typische Grab", bringt Streb eine der Erkenntnisse auf den Punkt. Die Forscher erklären das unter anderem mit dem gesellschaftlichen Anpassungsdruck, der sogenannten sozialen Kontrolle. Hinterbliebene orientieren sich an den vorhandenen Gräbern und wählen für gewöhnlich ein ähnliches, bereits akzeptiertes Modell aus. Zudem setzt die lokale Friedhofsordnung dem Handlungsspielraum der Angehörigen Grenzen.
Laut Christoph Streb lassen sich diese speziellen Traditionen und behördlichen Vorschriften, wie ein Grab aussehen soll, auf den individuellen Charakter des Standortes zurückführen: "Der Hauptfriedhof und der Mattheiser Friedhof stehen in ganz unterschiedlichen Kontexten." Während der Trierer Hauptfriedhof an einen französischen Barockgarten erinnert und sich damit die monumentalen Gründerzeitgräber fließend in das Bild der Anlage einfügen, wirkte das gleiche Grabmal auf dem Gelände des Benediktinerklosters in Trier-Süd deplatziert.

Eine Frage der Mode Auch Friedhöfe unterliegen Moden und Trends, wie die Forscher der Universität Luxemburg mit Hilfe der gesammelten Informationen nachweisen konnten. Zeitlich verzögert gleichen sich dadurch Gräber selbst über Friedhofsmauern hinweg an. So waren in der Region vor rund einem Jahrhundert Hochkreuze besonders beliebt, bevor sie Mitte der 1950er Jahre nach und nach durch Steinbruchplatten verdrängt wurden. Die Forscher nennen dieses Phänomen den Nachbarschaftseffekt. Dessen Wirkung, schränkt Streb aber ein, verringere sich durch natürliche und staatliche Grenzen, so dass "jeder Friedhof seinen eigenen Fingerabdruck" behält. Beispielsweise ragen auf dem Grevenmacher Friedhof in Luxemburg noch Hochkreuze in den Himmel, die in Nittel auf der anderen Moselseite schon längst verschwunden sind - und das trotz der Moselbrücken und des freien Grenzverkehrs.

Der klassische Friedhof verschwindet Friedhöfe sind ein Spiegel der Gesellschaft, betont der Archäologe Streb. Man erfährt von den Artefakten nicht nur etwas über den ästhetischen Geschmack der Menschen, sondern auch über deren soziale Normen. Im Mittelalter versprachen sich Gläubige beispielsweise ein mildes Urteil am Tag des Jüngsten Gerichts, wenn sie ihre letzte Ruhe möglichst nahe an den heiligen Reliquien im Kircheninneren fanden. Das führte dazu, dass Gottesfürchtige auf dem Kirchhof und religiöse Würdenträger sowie Wohlhabende sogar innerhalb der Sakralbauten bestattet wurden. Im 19. Jahrhundert veränderte sich diese Praxis langsam, denn Sauberkeit wurde durch medizinische Entdeckungen von einer privaten zu einer öffentlichen Angelegenheit. Die wüsten Kirchhöfe und den Geruch im Sommer, der von den unter den Dielen der Kirche liegenden Toten ausging, empfanden die Menschen nun als unangenehm. Sie begannen, den Tod auch als ein hygienisches Thema aufzufassen. Schließlich wurden Friedhöfe aus den Ortschaften verbannt. So wie der Trie rer Hauptfriedhof, der sich vor dem rasanten Bevölkerungswachstum Ende des 19. Jahrhunderts noch hinter der Stadtmauer befand.

Individualisierte Gräber Heutzutage sollen Gräber auf der einen Seite praktisch, andererseits aber auch individuell sein. "Standardisierte Granitgrabsteine aus dem Katalog und Urnenbestattungen werden häufiger", beobachtet Streb eine Entwicklung, die im 19. Jahrhundert begann. Um den Charakter des Toten zum Ausdruck zu bringen, heften Angehörige dann kleine Grabelemente an. "Es geht so weit, dass man die weißen Katzen der japanischen Firma Hello Kitty auf Gräbern findet", berichtet Streb von einem Beispiel, das exemplarisch für das gesteigerte Bedürfnis nach Individualisierung steht.
Prestige spiele hingegen eine nur noch untergeordnete Rolle. Den Familienpatriarchen, der ein repräsentatives Grab als Ausweis seines gesellschaftlichen Status errichten lässt, gebe es nicht mehr. Bevorzugt werden stattdessen minimalistische Stelen ausgewählt. Der klassische Friedhof mit Körperbestattung und Grabmal scheint zu verschwinden. Manche Friedhöfe klagen daher über Leerstellen, da sich immer mehr Menschen für eine Waldbestattung entscheiden. "Den Friedhöfen laufen die Kunden weg", sagt Streb, der eine veränderte Lebensführung der Menschen dafür verantwortlich macht. Einen Grund sieht der Wissenschaftler zum Beispiel in der modernen Arbeitswelt, die von den Menschen verlange, für einen Job weit wegzuziehen. Das mache es den Angehörigen schwerer, ein Grab regelmäßig zu pflegen. Und so verändert sich laut Experten wieder einmal das Gesicht der Friedhöfe.Extra: INTERVIEWPARTNER GESUCHT

 Auf dem größten Friedhofs Trier, dem Hauptfriedhof, ist der Wandel in der Bestattungskultur sichtbar: Während früher Hochkreuze beliebt waren (Foto rechts), wurden die Gräber im Laufe der Zeit flacher. In Mode gekommen sind auch individuelle Ruhestätten – wie hier mit einem Modellauto (Foto unten, Mitte). TV-Fotos (5): Friedemann Vetter

Auf dem größten Friedhofs Trier, dem Hauptfriedhof, ist der Wandel in der Bestattungskultur sichtbar: Während früher Hochkreuze beliebt waren (Foto rechts), wurden die Gräber im Laufe der Zeit flacher. In Mode gekommen sind auch individuelle Ruhestätten – wie hier mit einem Modellauto (Foto unten, Mitte). TV-Fotos (5): Friedemann Vetter

Foto: Friedemann Vetter (ClickMe)
Spannende Forschung auf dem Trierer Hauptfriedhof
Foto: Friedemann Vetter (ClickMe)
Spannende Forschung auf dem Trierer Hauptfriedhof
Foto: Friedemann Vetter (ClickMe)
Spannende Forschung auf dem Trierer Hauptfriedhof
Foto: Friedemann Vetter (ClickMe)


Christoph Streb, historischer Archäologe an der Universität Luxemburg, sucht für seine Dissertation Hinterbliebene aus der Region Trier, die dazu bereit sind, Fragen über die Wahl des Grabs zu beantworten. Kontakt: E-Mail christoph.streb@uni.lu oder Telefon 0157/39351505.

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