Spannung in der Luft

TRIER. (ae) In ihrer Reihe "Neue Musik und experimentelle Kunst" veranstaltete die Tuchfabrik Trier ein Performance mit dem Titel "Livepainting". Vor den Augen des Publikums und im Dialog mit musikalischer Improvisation entstanden acht Tafelbilder zum Thema "Die Planeten – Sieben Todsünden".

Seit einem Jahr haben sich die Musiker Bernd Mathias (Klavier) und Stefan Scheib (Kontrabass), sowie der Maler Nikola Dimitrov mit philosophischen Fragen nach den Kardinalsünden des Menschen auseinander gesetzt und dazu ein künstlerisches Konzept entwickelt. Darin ordnen sie Hochmut, Trägheit, Neid, Zorn, Wollust, Völlerei und Geiz der Symbolik von Sonne, Mond, Merkur, Mars, Venus, Jupiter und Saturn zu und setzen ihre Deutung in Musik und Malerei um. Das jedoch nicht verborgen im Atelier, sondern öffentlich, vor den Augen von Zuschauern. Diese wiederum wissen nicht, was sie erwartet. Nur, dass sie Zeugen eines Schaffensprozesses sein werden, in den auch ihre Stimmung einfließen soll. Entsprechend liegt Spannung in der Luft, als mit klopfenden Geräuschen der Kontrabass einsetzt, sich langsam Töne vom Klavier dazu gesellen und der Maler die erste Leinwand auf die Malfläche am Boden bettet. Aber es beginnt alles eher praktisch, harmlos, einlullend. Dimitrov mischt, verdünnt, lässt Farbe über Leinwände laufen, bis gelb (Sonne), blau (Mond) und grün (Merkur) grundierte Flächen zu sehen sind. Bisweilen gleichen seine Bewegungen denen eines Tänzers, intensive Berührung zwischen seiner Malerei und der Musik entwickelt sich. So zum Beispiel, wenn er das Streichen des Bogens auf dem Kontrabass in lange gleichmäßige Pinselstriche umsetzt. Dann aber wird es um so heftiger: Die Arbeit am Bild zur Wollust/Venus gerät förmlich zur Schlacht. Zu dissonanten, schrägen, den Pulsschlag bedenklich steigernden rhythmischen Tönen schüttet, spritzt und wirft der Künstler blutrote Farbe auf den Malgrund, durchwühlt sie mit dem Pinsel, um nach diesem orgiastischen Gebaren in Erschöpfung zu fallen. Kreisende Fußspitzen im Publikum und mancher Seitenblick auf den Nachbarn signalisieren Spannung, auch Unbehagen. Als Zuschauer ist man Voyeur, Zeuge eines intimen Prozesses. Und dann wieder wird man zum Zaungast, der für die Eigendynamik des Geschehens keine Rolle spielt und damit ausgeschlossen ist. Anders als in einer Ausstellung bestimmt man nicht selber, wie man sich der Kunst nähert, sondern hier bestimmt die Kunst, gnadenlos und unerbittlich. Einigen ist das zu viel, sie gehen, woraufhin sich in Musik und Malerei Dissonanz breit macht. Dann werden vermeintlich fertige Bilder erneut wütend bearbeitet. Als Zuschauer fühlt man Ohnmacht, die sich im Gedanken: "Lass es doch so, es ist genug!" oder in geflüsterten Bemerkungen: "Schade, das schöne Bild!" Bahn bricht. Livepainting hinterlässt widerstrebende Gefühle, aber die Erkenntnis: Kunst ist ein schöpferischer und destruktiver Prozess.

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