Staats-Chef und Comic-Held

TRIER. Balduinstraße, Balduinsbrunnen, Kurfürst-Balduin-Schule: Die Stadt hat sich nicht lumpen lassen, um den großen Mittelalter-Trierer gebührend zu würdigen. Heute vor 650 Jahren starb der phänomenale und legendäre Kirchenmann Balduin von Luxemburg (1285-1354).

Ihn nach heutigen Maßstäben messen zu wollen, kann nicht funktionieren. Balduin war während seiner 47-jährigen Regierungszeit, dem damaligen Prinzip entsprechend, sowohl der weltliche Herrscher als auch der Kirchenchef im Erzbistum Trier. Mittelalter-Maßstäbe anzulegen, wird ihm aber ebenfalls nicht gerecht, denn er war seiner Zeit weit voraus und galt schon zu Lebzeiten als Ausnahmeerscheinung.Bei seinem Amtsantritt als Erzbischof an Pfingsten 1308 zählte der hoch gebildete Grafensohn aus Luxemburg erst 22 Jahre - acht weniger als das vorgeschriebene Mindestalter. Es bedurfte der Ausnahmegenehmigung von Papst Klemens V., der ihn im französischen Poitiers weihte.Zeitgenössische Quellen charakterisieren Balduin als bescheiden lebenden, viel betenden Schöngeist, der mit dem Schwert umzugehen wusste, aus sportlichen Wettkämpfen oft als Sieger hervorging und weltliche Lustbarkeiten mied.Entführt und neun Monate gefangen

Viel Kraft steckte der Jung-Herrscher in Wiederaufbau und Neuorganisation des Kirchenstaates Trier, den Vorgänger Diether Graf von Nassau heruntergewirtschaftet hatte. Balduin engagierte ein Heer von Fachleuten, führte eine detaillierte Rechnungsprüfung ein und widmete sich nach der Schuldentilgung einer kostspieligen, aber auf gesicherten Einnahmen basierenden Expansionspolitik. Seine Vision, den Flickenteppich von Einzelterritorien an Mosel, Rhein und Lahn in ein geschlossenes und einheitlich verwaltetes Kurfürstentum zu verwandeln, machte er wahr. Zur Sicherung des wachsenden Imperiums baute Balduin ein dichtes Netz von Burgen.Viele Umlands-Adlige hatten das Nachsehen; ausgerechnet eine Frau trotzte dem Machtpolitiker: Witwe Loretta von Sponheim entführte 1328 den Erzbischof und hielt ihn neun Monate lang auf ihrer Starkenburg (bei Traben-Trarbach) gefangen, ehe sie ihn erst nach erheblichen Zugeständnissen wieder frei ließ. Diese Geschichte bot bis in die jüngere Vergangenheit Stoff für Gedichte und Theaterstücke. Triers Oberbürgermeister Albert von Bruchhausen (1904-1927) gab ein Freilichtspiel "Der Kurfürst" in Auftrag, das mehr als 25-mal in den Kaiserthermen aufgeführt wurde.Balduin verstand sich auch auf Selbstinszenierung. So ließ er einen prächtigen 73-teiligen Bilderzyklus anfertigen, um die Jahrzehnte zurückliegende Romfahrt Kaiser Heinrichs zu verewigen. Balduin war 25, als er im Tross von Heinrich, seinem sieben Jahre älterer Bruder und Förderer, nach Italien zog. Heinrich, König von Deutschland, zahlte für die Kaiserkrone einen hohen Preis. Erst starb sein und Balduins Bruder Walram, in Brescia von einem Pfeil getroffen. In Genua segnete wenig später Heinrichs Gattin Margarethe von Brabant das Zeitliche. Am 7. Mai 1312 in Rom angekommen, machte den Deutschen der Stadtadel nachhaltig zu schaffen. Drei Kardinäle setzten am 29. Juni im Lateran Heinrich die Krone auf, doch der durfte sich nur 14 Monate lang der höchsten Herrscherwürde erfreuen und sollte nie wieder die Heimat sehen. Bei Neapel raffte ihn am 24. August 1313 eine Krankheit dahin.Balduin, ein halbes Jahr zuvor nach Trier zurückgekehrt, ließ das Italien-Debakel nie mehr los. Doch die 1333 in Paris gefertigte Bilderhandschrift dient nicht der Verarbeitung der tragischen Geschehnisse, sondern der schieren Glorifizierung. "Sie zeigt uns Heinrichs siegreiches, vor allem aus Luxemburger und Trierer Rittern bestehendes Heer auf seinem Italienzug, illustriert Belagerungen und Schlachten, an denen auch Erzbischof Balduin in voller Rüstung teilnimmt, die Kaiserkrönung sowie Feste und Turniere. Nur die vielen Sterbe- und Begräbnisszenen belegen, dass das Unternehmen für das Haus Luxemburg zum Fiasko wurde", skizziert der Trierer Historiker Wolfgang Schmid den extrem schönfärberischen "Mittelalter-Comic", der heute zu den bedeutendsten Stücken des Koblenzer Landeshauptarchiv gehört. Realitätsnäher und praxisbezogener sind andere Veröffentlichungen, die auf Balduins Konto gehen. Als Markstein gilt die Sammlung aller Rechtstexte, die er über zwei Jahrzehnte hinweg zusammentrug und in den Balduineen kodifizierte.Auch als Bauherr sicherte sich der moderne Herrscher einen Platz in der Geschichte: Die Koblenzer Balduinbrücke ist der einzige Brückenneubau an Rhein und Mosel im gesamten Mittelalter. Balduin, dem auch die Suffraganbistümer Metz, Toul und Verdun unterstanden und der die vakanten Bistümer Mainz, Worms und Speyer leitete, förderte und gründete Klöster und Stifte.Sarkophag im Dom, Brunnen beim Bahnhof

Seinen Tod hatte der 69-jährige Balduin vor Augen, als er am 18. Januar 1354 in Trier eintraf, von Mainz aus kommend, wo er mit Erzbischofs-Kollegen und seinem Großneffen, König Karl, Staatsgeschäfte verhandelt hatte. Nun war er daheim und starb beruhigt am frühen Morgen des 21. Januar 1354.Sein Grab fand Balduin nicht, wie er es wünschte, in seinem Karthäuserkloster St. Alban (an der heutigen Karthäuser Straße), wohin er sich oft zurückgezogen hatte. Das Domkapitel bestand auf einem prächtigen Grabmal im Westchor der Bischofskirche. Der Sarkophag aus schwarzem Marmor steht noch heute dort. An den großen Trierer erinnert außerdem der 1897 errichtete Balduinsbrunnen beim Hauptbahnhof.

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