Stillstand war ein Fremdwort

TRIER. Drei Jahrzehnte hat der scheidende Oberbürgermeister Helmut Schröer die Geschicke der Stadt Trier maßgeblich beeinflusst – in allen Bereichen. Es war eine Ära, in der die Stadt ihr Gesicht nicht weniger verändert hat als in den Nachkriegsjahren. Eine Zeit permanenter Bewegung, mit dem OB als unermüdlichem Antreiber.

 Helmut Schröer 1974 im Stil der Zeit als junger Wilder von der Jungen Union bei Wahlkämpfen auf dem Trierer Hauptmarkt... Foto: privat

Helmut Schröer 1974 im Stil der Zeit als junger Wilder von der Jungen Union bei Wahlkämpfen auf dem Trierer Hauptmarkt... Foto: privat

Nehmen wir einen fiktiven Trierer, der im Juni 1977 geboren wurde, vielleicht genau an jenem Tag, als ein junger Schullehrer namens Helmut Schröer zum Wirtschaftsdezernenten gewählt wurde. Lassen wir ihn virtuell durch Trier '77 laufen - durch die Stadt, wie sie aussah, als er zur Welt kam.Der Mann käme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Basilika-Vorplatz, der Viehmarkt, der Domfreihof, der Kornmarkt, der Stockplatz: Lauter potthässliche Parkplätze, voll gestopft mit Autos. Kultur-Denkmäler im Abgasnebel. Menschen im Zickzack-Lauf durch Blechlawinen.

In dieser Stadt muss inzwischen ein autokritischer Öko-Freak das Sagen gehabt haben, denkt unser Mann vielleicht. Aber dann sieht er die vielen Parkhäuser, die Staus auf der Bitburger, das tägliche Chaos am Alleenring, die Anwohner-Proteste in Kürenz und Olewig - und bekommt ein paar Zweifel. Die City ist richtig schön geworden, eine große Leistung, und das mit wenig Geld. Aber manche Probleme sind nur ins Hinterzimmer verlegt worden.

Unser Demnächst-Dreißigjähriger wandert weiter durch die Vergangenheit. In Tarforst findet er keine Uni, auf dem Petrisberg, in Castelforte und an zehn anderen Ecken der Stadt nur hermetisch abgeriegelte französische Militäranlagen. Keine Arena (ergo auch keine der Großveranstaltungen, die er so liebt), keine neuen Stadtteile, kein hübsches Gartenschau-Gelände. Nur Stacheldrahtzäune. In Heiligkreuz steht statt der mächtigen Europäischen Rechtsakademie ein verfallendes Fabrikgebäude, in den Moselauen dräut statt der Messehalle ein muffiger Sumpf.

"Hier ist ja pausenlos gebaut worden", grübelt unser Wanderer rückblickend, "dabei war doch nie Geld da". Da muss wohl viel Fantasie und ein cleveres Management dahinter gewesen sein. Wie beim Palais Walderdorff, dem einst verfallsbedrohten Schandfleck im Herzen der City. Inzwischen ist es ein veritables Schmuckstück geworden - aber es gehört auch nicht mehr der Stadt.

Nehmen wir einmal an, unser Proband ist kulturbeflissen. Da packt ihn im Jahr 1977 das schiere Entsetzen. In der heutigen Tufa wuchern die Spinnweben, die Europäische Akademie vegetiert in einem winzigen Schluff in Pallien, das Theater diskutiert über Sparten-Schließungen. Der Konzertsaal St. Maximin ist eine Ruine, das Museum Simeonstift viel zu klein, das städtische Orchester in der niedrigsten Stufe angesiedelt. Von Antikenfestspielen oder "Brot und Spiele" keine Rede, die antiken Stätten im Dämmerzustand.

Der Vergleich zeigt heute eine kräftige Kultur-Blüte unter einem OB, der mitnichten als Kultur-Mensch galt. Und der nicht immer die optimalen Fach-Dezernenten hatte. Aber offenbar ein gutes Händchen für die Kunst.

Was man von den Schulgebäuden nicht direkt behaupten kann. Da würde ein virtueller Spaziergang ins Jahr 1977 allenfalls die betrübliche Erkenntnis bringen, dass sich bei den meisten nichts Nennenswertes geändert hat. Höchstens, dass die Fenster etwas blinder geworden sind - kein Wunder, wenn man sich nur alle zwei Jahre einen Putz-Durchgang leistet. Die Trierer Schulen und ihre Armut: beileibe kein Ruhmesblatt, wenn Bilanz einer Ära gezogen wird. Und sicher auch ein Grund für die radikale Kehrtwende der Bürger bei der letzten OB-Wahl.

Unser Zeiten-Wanderer zieht weiter seine Kreise. Und kommt dabei nach Trier-Nord. Anno '77 sieht er dort stellenweise einen absteigenden Stadtteil auf dem Weg zum Slum. Erleichtert vergleicht er mit heute: Der Norden lebt, er erholt sich dank des Projekts "Soziale Stadt". Sogar der Nells Park ist zurück aus der inneren Emigration. Ein Pluspunkt für die Bilanz. Es könnte sogar ein dicker sein, ließe sich eine ähnliche Entwicklung auch in Trier-West feststellen. Aber dort lässt die große Hilfe weiter auf sich warten.

Überhaupt, die Stadtteile: Sie sind gegenüber der "Boomtown Innenstadt" etwas abgefallen. Wahrscheinlich der Preis dafür, dass das wirtschaftliche Kraftzentrum der Stadt in der Fußgängerzone und drumherum sitzt. Die bundesweit herausgehobene Position als Einkaufs- und Handels-Oberzentrum hat sich gefestigt - auch dank einer städtischen Wirtschaftspolitik, die ein Ausbluten in die Peripherie verhindert hat. Im Gegenzug findet unser Wanderer heute in vielen Vierteln jene Infrastruktur nicht mehr, die einst selbstverständlich war.

Dafür würde er 1977 wahrscheinlich die bunte Nationalitäten-Vielfalt vermissen, die ihm heute in der Stadt begegnet. Der Tourismus-Boom in Trier hat erst in den Achtzigern so richtig begonnen, angefeuert durch die 2000-Jahr-Feier, die ein junger Dezernent namens Schröer damals maßgeblich organisierte. Und noch etwas sah vor drei Jahrzehnten noch völlig anders aus: Der Anteil von Luxemburgern oder Franzosen, die durch die Stadt flanierten. Die Nachkriegs-Generation tat sich schwer damit, die Kontakte zum unmittelbaren Nachbarn zu knüpfen. Inzwischen sind beim Weihnachtsmarkt mehr französische Schüler als deutsche, und ohne Luxemburger bräche der Einzelhandel in Trier zusammen. Es gibt Quattropole und die gemeinsame Kulturhauptstadt, und der OB von Trier ist mit seinem Amtskollegen in Metz und Luxemburg persönlich befreundet. Ach ja: Der Regierungs-Chef von Luxemburg hält die Rede bei der Abschieds-Feier des Trierer Oberbürgermeisters, und sein Mainzer Amtskollege ist nicht einmal da. Das eine wie das andere wäre 1977 schlicht undenkbar gewesen.

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