Stürmer und Mitläufer

TRIER. (DAJ) Dass auch im WM-Jahr 2006 nicht jede Veranstaltung zum Thema Fußball ein Massenpublikum anzieht, wurde im Studienzentrum Karl-Marx-Haus deutlich. Sicher, es war keine leichte Kost, die beim Vortrag über den "Fußball unterm Hakenkreuz" von Nils Havemann geboten wurde. Ein wenig mehr als das knappe Dutzend Zuhörer aber hatten sich die Veranstalter schon erhofft.

Immerhin hatte die gleichnamige Studie, die der Referent im Auftrag des DFB im September veröffentlicht hatte, ein breites Medienecho gefunden. Erstmals wurde dort ein dunkles Kapitel der Sportgeschichte, das bis vor wenigen Jahren von offizieller Seite weit gehend verdrängt wurde, intensiv beleuchtet. Obwohl viele der DFB-Funktionäre keine überzeugten Nationalsozialisten waren, so Havemanns These, ließen sie sich doch oftmals allzu leichtfertig für die Zwecke der Regierenden instrumentalisieren. Dafür seien vor allem wirtschaftliche Gründe verantwortlich gewesen, denn der DFB habe beispielsweise von der Zerschlagung der konkurrierenden Arbeitersportvereine oder dem Verbot des Berufsspielertums profitiert, das dem Verband weiter seine Gemeinnützigkeit gesichert und ihn vor der Spaltung bewahrt habe. Die geringe Zahl der Besucher, darunter übrigens keine Vertreter von Vereinen oder Verbänden, erlaubte im Anschluss an den Vortrag noch eine angeregte Diskussion, in der die Komplexität des Themas an einigen Biografien exemplarisch erörtert wurde. So sei DFB-Präsident Felix Linnemann, der dieses Amt schon seit der Weimarer Zeit innehatte, 1937 als Kriminalrat von Berlin nach Stettin versetzt worden - wohl auch, um seinen Einfluss im Verband zu begrenzen. Später habe er an der Erfassung von Sinti und Roma zur Deportation nach Auschwitz mitgewirkt. Und der Wiener Mittelstürmer Matthias Sindelar, der kurz nach dem "Anschluss" Österreichs sein Tor im Länderspiel gegen Deutschland im rot-weiß-roten Dress vor den versammelten Parteigrößen auf der Ehrentribüne demonstrativ bejubelt hatte, habe nur einige Monate später von der Arisierungspolitik profitiert und ein Kaffeehaus erworben, dessen jüdischer Besitzer zum Verkauf gezwungen worden war. Die Wahrheit, so viel jedenfalls wurde entgegen einer weit verbreiteten Fußballweisheit klar, liegt eben nicht immer nur "auf dem Platz". Dies sollen auch die weiteren Vorträge aus der Reihe "Sozial- und Kulturgeschichte des Fußballs" zeigen, die am morgigen Donnerstag um 19.30 Uhr fortgesetzt wird. Dann geht es um den Gründungspräsidenten des DFB, Ferdinand Hueppe, und dessen Verhältnis zur Rassenideologie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort