Trier im Fußball-Fieber

Party auf den Straßen, Autokorsos, rasende Begeisterung: Deutschlands knapper Rumpel-Sieg gegen die Türkei verwandelt Trier einen Abend lang in eine riesige Fan-Kurve. Zwei TV-Reporter sind mittendrin.

Trier. Innenstadt: Schon um 18 Uhr geht im Louisiana nichts mehr: Rein kommt nur, wer reserviert hat oder dessen Freunde einen Platz freigehalten haben. Zu den 200 Gästen im Louisiana gehören auch Ferhat (20) und sein Vater Nejat (54), die einzigen Türken im Lokal. "Ist doch egal, wer gewinnt", sagt Ferhat, der wie sein Vater an einen türkischen Sieg glaubt. "Und wenn nicht, dann gratulieren wir eben den Deutschen." Die türkische Nationalhymne singen sie inbrünstig mit.Trier-Nord: Das 640 Quadratmeter große Zelt des Romikulums im Trierer Norden ist voll. Die 850 Sitzplätze sind schon Stunden vor dem Anpfiff weg und werden verteidigt. Insgesamt sitzen und stehen 1300 Menschen vor der Leinwand. "Lasst die Kleinen nach vorn", sagt Frank, der seine Deutschland-Fahne, sie ist größer als er, hält wie ein Schweizer Gardist seine Hellebarde. Paddy, er trägt ein "100 Prozent Werder"-Shirt, hat seinen Glücksbringer - die Nutella-Version von Kevin Kuranyi - dabei und ist siegessicher. "Die kriegen wir."Innenstadt: Das Spiel läuft seit 15 Minuten, und die deutschen Fans sind fassungslos. Schweiß steht auch auf Nejats Stirn. Kann es wirklich sein, dass seine Elf das bessere Team ist? Christian, der mit seinen Fußball-Kameraden der Mosella Schweich ebenfalls das Spiel schaut, ist noch ruhig. "Wir lassen die Türken erst einmal kommen." Und sie kommen tatsächlich.Trier-Nord: Ugur trifft für die Türkei. 1300 Männer und Frauen sind schockiert. Statt Jubel rasender Zorn. Manch einer erweckt den Eindruck, er wolle den Akteuren am liebsten an die Gurgel springen. Das ändert sich vier Minuten später: Poldi auf Schweini, Schweini ins Netz, Ausgleich. Im Zelt bricht die Hölle los. Eine Sitzbank fällt um. Bier-Becher fliegen. Männer und Frauen springen hoch.Innenstadt: Gleich drei Gläser Weizenbier gehen beim Jubel am Mosella-Tisch zu Bruch. "Finaaale", hallt es plötzlich wieder durch die Gaststätte. Derweil gestikuliert Nejat so energisch wie der türkische Trainer Terim. "Das Tor darf doch nicht fallen", sagt er.Trier-Nord: Die Euphorie legt sich schnell, denn das deutsche Team kickt so grottig weiter, wie es begonnen hat. Dann finden die Fans ein anderes Ventil für ihren Zorn: Lahm fällt im Strafraum, doch der Schiri winkt ab. Kein Pfiff, kein Elfmeter. "Dau has doch en Baus", dröhnt es in bestem Trierisch. Tumult im Zelt, eine Fan-Frau sieht sich ängstlich um.Innenstadt: Und als ob das alles noch nicht reichen würde, ist plötzlich die Leitung weg. "Wenn wir verlieren, dann verdient", sagt Christian zerknirscht, als Bela Rethy verkündet, dass die Deutschen 40 Sekunden ohne Ballkontakt sind. Und dann fährt die Emotions-Skala Achterbahn. Tor für Deutschland. Ferhat küsst beide Daumen. Sein Flehen wird erhört. Semih trifft, Ausgleich.Ganz Trier feiert: Deutsche und türkische Fans erleben Sekunden vor dem Abpfiff der regulären Spielzeit einen dieser ganz seltenen Live-Momente. Der kleine Lahm haut das Ding ins Tor rein. Jegliche Ordnung löst sich auf. Brüllender Jubel, grenzenlose Enttäuschung. Nejat verabschiedet sich per Handschlag und wünscht "Viel Glück". Ein echter Sportler, Respekt! Und jetzt ist die Zeit der Siegesfeier gekommen. Autokorso Richtung Innenstadt, Hupkonzert, Fahnenmeer. Bis Sonntag dann.

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