Trierer Bürgerservice geht freiwillig in Insolvenz - Update: Geschäftsführer: Keine Entlassungen

Trier · Sie schreibt schwarze Zahlen, geht aber dennoch freiwillig in Insolvenz: Die gemeinnützige Bürgerservice GmbH aus Trier will mit diesem Verfahren finanzielle Altlasten beseitigen. Der Trierer Stadtrat hatte gestern in nicht-öffentlicher Sitzung entschieden, den Betrieb nicht erneut mit einer Finanzspritze zu retten.

 Die Geschäftsgebäude des Bürgerservice in Trier in der Monaiser Straße. Die gemeinnützige GmbH mit 270 Mitarbeitern hat heute Insolvenz angemeldet. Die Tochterfirma BSB ist nicht von der Insolvenz betroffen.

Die Geschäftsgebäude des Bürgerservice in Trier in der Monaiser Straße. Die gemeinnützige GmbH mit 270 Mitarbeitern hat heute Insolvenz angemeldet. Die Tochterfirma BSB ist nicht von der Insolvenz betroffen.

Foto: Friedemann Vetter

Zwei Millionen Euro: diesen Betrag musste der Trierer Stadtrat Anfang April 2014 kurzfristig bereitstellen, weil dem Bürgerservice (BÜS) das Geld auszugehen drohte. Der Bürgerservice ist eine gemeinnützige GmbH, die seit 1993 Menschen beschäftigt und qualifiziert, die auf dem normalen Arbeitsmarkt wenig Chancen haben (siehe Extra). Als der Stadtrat die zwei Millionen Euro bereitstellen musste, hatte der BÜS einen längeren Umbau hinter sich - doch das Geld reichte nicht, um die Umstrukturierung abzuschließen. Nun klopfte der Bürgerservice erneut bei der Stadt an.

Wo liegen die Probleme? 2015 erwirtschaftete der BÜS laut Geschäftsführer Horst Schneider einen Gewinn von 65.000 Euro. Alle Geschäftsbereiche liefen positiv, sagt er. Es gebe keine offenen Rechnungen, und die Gehälter seien immer gezahlt worden. Die Insolvenz sei aber nötig, weil finanzielle Altlasten aufs Ergebnis drücken und die Eigenkapitaldecke der GmbH zu dünn ist. Weil beispielsweise noch jahrelang um die 600?000 Euro Kapitaldienste jährlich unter anderem für Grundstück und Gebäude in der Monaiser Straße zu bedienen sind, kommt der BÜS finanziell dauerhaft auf keinen grünen Zweig. "Der BÜS macht einen tollen Job, aber es fehlt langfristig an Liquidität", so umschreibt auch der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe das Problem. Die Stadt ist mit 49 Prozent am BÜS beteiligt.

Die Lösung des BÜS: Ein von externen Gutachtern erarbeiteter und der Stadt vom Bürgerservice vorgelegter Vorschlag sah vor, die Stadt solle das BÜS-Grundstück in der Monaiser Straße für rund 4,5 Millionen Euro erwerben und dem Bürgerservice gegen eine jährliche Pacht überlassen. Weitere 1,8 Millionen Euro sollte die Stadt als Barleistung dem BÜS überweisen, um die Liquididät sicherzustellen.

Der Plan der Verwaltung: Bei der Stadtratssitzung am Dienstagabend lehnte der Stadtrat in nicht-öffentlicher Sitzung diesen Vorschlag aber ab und folgte damit einer Empfehlung der Verwaltung. OB Leibe und die zuständige Sozialdezernentin Angelika Birk betonen beide, für wie wichtig sie den BÜS halten, bevorzugen zur Problemlösung aber eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Diese freiwillige Insolvenz beantragte der Bürgerservice prompt am Mittwoch beim Amtsgericht. Vorrangiges Ziel der Insolvenz in Eigenverwaltung ist, das Unternehmen zu erhalten und zukunftsfähig zu machen. Geschäftsführer Horst Schneider unterstützt nun die Position der Stadt: "Wir schreiben derzeit erstmals seit einigen Jahren wieder schwarze Zahlen. Es zeigt sich, dass unsere bisherigen Anstrengungen allmählich Früchte tragen und unser Geschäftsmodell tragfähig ist. Das kann aber nur nachhaltig gelingen, wenn wir uns von Altverbindlichkeiten entlasten können." Die 100-prozentige Tochterfirma Beschäftigungs-, Service- und Beratungsgesellschaft mbH (BSB GmbH) mit rund 80 Mitarbeitern ist nicht vom Insolvenzantrag der Mutter betroffen.

So geht es weiter: Für die 270 BÜS-Mitarbeiter ändert sich wenig - auch wenn ihre Gehälter nun für drei Monate aus dem Insolvenzgeld gezahlt werden. Es gebe keinen Grund zu Entlassungen, versichert Geschäftsführer Schneider. Im Gegenteil, möglicherweise würden weitere Mitarbeiter aufgrund der guten Auftragslage eingestellt. Auch die Kunden bräuchten sich um die Erledigung der Aufträge keine Sorgen zu machen, sagt Geschäftsführer Schneider. Vom Amtsgericht wird bei der eigenverwalteten Insolvenz kein externer Insolvenzverwalter eingesetzt, sondern die Geschäftsführung bleibt im Amt. Allerdings wird sie von einem sogenannten Sachwalter beraten und kontrolliert - den das Amtsgericht in den nächsten Tagen benennen wird. In beratender Funktion bereits mit dabei ist Christine Frosch, Sanierungsexpertin der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft DHPG in Trier. Frosch wird als "insolvenzrechtliche Generalbevollmächtige" nun gemeinsam mit der Geschäftsführung versuchen, den Betrieb im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu entschulden. Grundsätzlich sieht sie den BÜS gut aufgestellt, weil die meisten Restrukturierungen mittlerweile umgesetzt seien: "Eine bessere Ausgangsbasis gibt es für ein freiwilliges Insolvenzverfahren eigentlich gar nicht."
Die Stadt muss nun zwar keine 6,3 Millionen Euro in die Hand nehmen. Mehrere Millionen Euro Kosten könnten aber auf sie zukommen, weil sie für das BÜS-Grundstück bürgt. Entscheiden wird sich das im Verlauf der Gläubigergespräche.

Das sagen die Mitarbeiter: In einer Betriebsversammlung wurde ein Teil der Mitarbeiter am Mittwoch über das Insolvenzverfahren informiert, eine weitere Versammlung folgt heute. Gerhard Fuchs, Betriebsratsvorsitzender, sagt: "Insolvenz hört sich zunächst bedrohlich an. Selbstverständlich erhoffen wir uns, dass genau dieses Verfahren geeignet ist, die Anstrengungen der letzten Jahre zu einem positiven Abschluss zu bringen. Daher unterstützen wir den von der Geschäftsführung gestellten Antrag." Zum Ende der Betriebsversammlung gab es Applaus für die Geschäftsführung.Extra: Der Bürgerservice

Der Bürgerservice wird getragen von der Stadt Trier (49 Prozent) und dem Verein Trie?rer Initiative für Arbeitslose, kurz Tina (51 Prozent). Der hat aber de facto kein Eigenkapital, so dass die Stadt in erster Linie für den BÜS geradestehen muss. Der BÜS ist ein Integrationsunternehmen, sorgt dafür, dass auch weniger qualifizierte Menschen oder Menschen mit Behinderung eine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Deshalb sagt der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe auch: "Die Stadt braucht den BÜS!" In Spitzenzeiten beschäftigte der Betrieb über 500 Ein-Euro-Jobber. Als der Bund 2010 die Zuschüsse dafür drastisch kürzte, geriet der BÜS in finanzielle Schwierigkeiten, schloss in der Folge unter anderem die Geschäftsstellen in Bitburg, Wittlich und Saarburg und entließ rund 200 Mitarbeiter. Zu Jahresanfang beschäftigte der BÜS 240 Mitarbeiter, aktuell sind es 270, darunter 64 Menschen mit Behinderung und 64 ehemalige Langzeitarbeitslose sowie acht Auszubildende. Sie bieten Handwerksarbeiten und Dienstleistungen unter anderem mit Recycling, Schreinerei, Malerarbeiten, Gebäudereinigung, Photovoltaik und Gartenbau.
450 Menschen sind in Projekten, die der BÜS betreut, beispielsweise Berufsvorbereitungs- oder Sprachkurse. Diese laufen während des Insolvenzverfahres normal weiter. Extra: Insolvenz in Eigenverwaltung

Das Insolvenzrecht sieht die Eigenverwaltung vor, wenn die Überlebenschancen für ein Unternehmen gut sind. Bei einem normalen Insolvenzverfahren übernimmt ein vom Gericht eingesetzter Insolvenzverwalter die Geschäftsführung. Beim Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung bleibt der bisherige Geschäftsführer in der Regel im Amt, kontrolliert von einem Sachwalter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort