Trierischer Laut- und Schönsprecher

TRIER. "Ohne Mikrofon, ohne Verstärker – man hat mich bis in die Grabenstraße gehört. Ich war mein eigener Lautsprecher." Josef Norta erinnert sich noch lebhaft an seinen großen Auftritt vor mehreren tausend Menschen. Bei der Wiedererrichtung des Marktkreuzes am 29. Juni 1945 trug der damals 16-Jährige das Gedicht "Aon Trier" von Philipp Laven vor.

"Et waor ganz feierlich." So feierlich, dass Josef Norta der Peterstag 1945 so nachhaltig in Erinnerung geblieben ist, "als wäre es letzte Woche gewesen. Ich bin stolz, dabei gewesen zu sein und einen Beitrag geleistet zu haben". Zu seinem Auftritt aber kam er wie die Jungfrau zum Kinde. OB Breitbach hatte einen anderen jungen Mann im Sinn, der zur symbolträchtigen Feier der Marktkreuz-Wiedererrichtung ein trierisches Gedicht vortragen sollte. Aber seine Sekretärin Gertrud Fröhlich (heute Kowollik) und ihre Schwester Maria (Simmer) stimmten das Stadtoberhaupt um: "Wir kennen da jemanden aus dem Domchor, der kann das viel besser." Die Referenz von "Nortas Jupp": "Er hat damals schon immer so schön trierisch geschwätzt und gute Laune verbreitet", sagt Gertrud Kowollik (85) und lacht. Gute Laune galt als hohes Gut in einer Zeit, als das gigantische Ruinenfeld der Trierer Innenstadt auf Schritt und Tritt an die Schrecken des gerade erst zu Ende gegangenen Krieges erinnerte. Auch Jung-Norta war noch eingezogen worden - der 15-jährige Untersekundaner am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium wurde Flak-Helfer. Anfang April 1945 kehrte in seine seit einem Monat von den Amerikaner besetzte Heimatstadt zurück. Die Schulbank wollte er nicht mehr drücken. Er half seinem Vater, dem Transportunternehmer und Kohlenhändler Nikolaus Norta. Geselligkeit fand er im Domchor. Dort lernte er auch die Fröhlich-Schwestern kennen, die ihm den Solo-Auftritt am Marktkreuz "verschafften". So durfte Frohnatur Josef Norta am Namenstag des Stadtpatrons Petrus die Holztribüne mit den Honoratioren erklimmen und Philipp Lavens Ode an Trier vortragen. Das Gedicht habe wohl OB Breitbach ausgewählt. Lampenfieber? "Nein. Ich war - wie wir alle damals - hungrig, aber nicht nervös. Und vor so einem großen Publikum wollte ich keine Schwäche zeigen." Wie viele Leute genau da waren, weiß niemand so genau. Norta bemüht die trierische Spezial-Mengenlehre und schätzt "bestimmt hunnertdausend Milljunen". Auf jeden Fall konnte der Hauptmarkt nicht alle Herbeiströmenden fassen: "Die standen noch um die Ecke herum bis weit in die Grabenstraße hinein. Aber alle haben mich klar und deutlich gehört." Für "Lautsprecher" Norta begann heute vor 60 Jahren unverhofft seine Karriere als Mundart-Interpret. Dem Verein Trierisch gehört er seit der ersten Nachkriegsversammlung 1947 an. Ungezählte Veranstaltungen bereicherte er mit seinem Sprachschatz und geistvollen Humor. Der Verein dankte es mit der Ehrenmitgliedschaft. Viele Trierer kennen Josef Norta auch als Fahrlehrer bei der Fahrschule Weber (1962 bis 1969) und Stadtsparkassen-Angestellten (1969 bis 1992). Auch im Berufsleben sprach er gerne ("wenn es die Situation erlaubte") Trierer Platt. Häufige Redewendung: "Seid esu gut!"

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