Tristesse-Burger

TRIER. (kbb) Autor Thomas Ernst liest nicht nur aus seinem Werk "Popliteratur" – er inszeniert es auch. Unterbrochen von Video-Schnipseln, Tonbandaufnahmen und Rocksongs, entsteht aus einer einfachen Lesung eine Unterhaltungsshow mit vielen Facetten, die im Exhaus auf alles andere als taube Ohren stieß.

Ein Mann sitzt an einem Tisch, hält ein Manuskript in der Hand und dreht in unregelmäßigen Abständen an einem der zahlreichen Knöpfe des Mischpults, das vor ihm steht. Eigentlich sieht die Bühne aus wie das Studio eines Radiosenders. Nur die Diskokugel an der Decke passt nicht so ganz ins Bild, genauso wie die roten Stoffbahnen im Hintergrund. Und auch inhaltlich geht es um etwas anderes als trockene Nachrichtentexte. Beat-Generation und 68er-Bewegung

Literatur werde zur Dienstleistung und Popliteratur sei eigentlich nichts anderes als "eine große Shopping-Mall". So charakterisiert Literaturwissenschaftler und Autor Thomas Ernst den Bestand der aktuellen "Popliteratur", einer Literaturgattung, die selbst er für "undefinierbar" hält. Ironisch und bisweilen zynisch-resignierend begegnet er seinem Thema: Beginnend im Dadaismus und Surrealismus der 1960er-Jahre, bildete sich eine neue Art der Literatur heraus, deren Vertreter seit jeher den Anspruch auf das Prädikat der Popliteratur postulierten. Über die Beat-Generation in den USA, die "68er-Bewegung" in der Bundesrepublik bis hin zur Wiedervereinigung beschreibt Ernst die Entwicklung jener Literatur, die von ihren Verfechtern ernster genommen zu werden scheint als von ihren Beobachtern. "Literatur wird zur Dienstleistung, die ‚Tristesse Royal TS' kommt auf Bestellung." Oder an anderer Stelle: "Popliteratur befindet sich auf dem intellektuellen Niveau einer Bockwurst und erscheint zudem in zahllosen Facetten einer Berliner Currywurst." Durchbrochen von Musik der "Doors", einem Film über die Frankfurter Buchmesse 1968 und dem Ausschnitt eines Videos aus den frühen 90er-Jahren, in dem es heißt, "Ich brauch' keine Gründe - ich hab' Heroin", zeigt Ernst in ironischer Weise die Dekadenz einer ganzen Generation, die sich selbst als "Spaßgesellschaft" in immer exzentrischeren Formen Ausdruck zu verschaffen suche. Im Hintergrund läuft "Smells like Teen Spirit" von Nirvana. "Ich stehe manchmal nachts auf und freue mich über die Eindimensionalität meines Horizonts", charakterisiert Ernst das durchschnittliche Opfer von "Vivatisierung" und der Sucht nach immer neuen Grenzerfahrungen - im Alltag genauso wie in der Literatur. Die etwa 60, überwiegend jüngeren Zuschauer, lauschen aufmerksam den Ausführungen des Literaturwissenschaftlers, der gerade an seiner Dissertation über dasselbe Thema schreibt. Die neue Popliteratur sei sinnentleert, von der Provokation der 68er sei keine Spur. "Schlappschwanz-Literatur", resümiert Ernst. Ob die Kritik an zeitgenössischer Literatur im Stile von Benjamin von Stuckrad-Barre, Florian Illies oder Michel Houllebecq angemessen, oder selbige vielleicht doch lesenswerter und gehaltvoller ist, als Ernst proklamiert, bleibt ungewiss. Denn schließlich findet der Autor selbst den Begriff der "Popliteratur" ob seiner Auslegungs- und Interpretationsvielfalt schlicht nicht definierbar - und zudem gilt auch in der Popmusik der Grundsatz: Wenn alle es hören, kann es so schlecht nun auch wieder nicht sein.

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