Verglastes Leder

TRIER-PFALZEL. Etwas mehr als eine Woche lang mussten die Pfalzeler auf ihr gewohntes Glockengeläut verzichten. Doch rechtzeitig zum Weihnachtsfest ist die Betglocke repariert, und das Glocken-Quartett kann die Weihnachtsfreude in die Straßen hinausläuten.

Schmale Wendeltreppen, eine recht steile "Hühnerleiter", eine auch nicht gerade breite Holztreppe und dann noch acht Leiterstufen - da endlich hängen die vier mächtigen Glocken. Für jemanden mit Angst vor allen Formen von Stufen und Höhen ist der Arbeitsplatz von Ulli und Kevin Groß ein absoluter Gräuel. Der 49-jährige Kirchentechniker und sein 16-jähriger Sohn aber lachen nur. Sie kennen schlimmere, höhere und engere "Aufstiege". Am vergangenen Freitag arbeiteten die beiden im Glockenturm der Kirche St. Martin in Trier-Pfalzel - genauer gesagt kümmern sie sich um den Klöppel der sogenannten Betglocke. Beim Wartungstermin am Läutwerk war aufgefallen, dass die Lederhalterung eines Klöppels stark abgenutzt und - wie es im Fachjargon heißt - "verglast", also gehärtet war. Eine durchaus gefährliche Sache, wie Ulli Groß erläutert: "Wenn das Leder kaputt geht und der etwa 60 Kilogramm schwere Klöppel die Glocke verlässt, dann hält den auch keine Mauer mehr." Um ein mögliches Unglück zu verhindern, hatte Christian Stief, Mann für alles in Pfalzels Pfarrheim und zusammen mit Wolfgang Lehnertz ehrenamtlicher Glocken-Warter, in Absprache mit Pastor Jonas Weber die Betglocke sowie die unter ihr angebrachte Martins-Glocke vorübergehend stillgelegt.Erinnerung an den Bombenangriff

Die ungewohnte Stille zu den Läutezeiten wäre vermutlich noch bis ins neue Jahr geblieben, hätte Christian Stief im Gespräch mit der Dorstener Firma Diegner und Schade nicht auf eine Pfalzeler Besonderheit hingewiesen: An Heiligabend um 15 Uhr werden die Glocken in Erinnerung an den verheerenden Bombenangriff vom 24. Dezember 1944 geläutet, bei dem 116 Menschen den Tod fanden und ein Großteil des Ortes zerstört wurde. Damit diese Erinnerung auch dieses Jahr fortgesetzt werden kann, eilten Vater und Sohn Groß also früher als vorgesehen nach Pfalzel und behoben in mehrstündiger Arbeit den "mittelgroßen Schaden". Der Klöppel der 1924 in Bochum gegossenen Stahlglocke lagert in vier breiten Lederbändern. Die müssen etwa alle 15 Jahre ausgetauscht werden. Drei Bolzen gilt es zu lösen, dann ist der Klöppel frei und wird auf Bohlen abgestellt. Während Ulli Groß aus der "kompletten Außenhaut eines deutschen Rindviehs" genaue Gegenstücke zu den alten Lederbändern ausschneidet, erzählt er, dass die Pfalzeler Kirche eine seiner etwa 250 "Pflegestellen" ist. Und zu jeder Kirche hätte er eine Anekdote zu erzählen. Der gelernte Elektro-Maschinenbauer hatte mit 45 Jahren das Bedürfnis, sich beruflich zu verändern. Da kam eine Zeitungsanzeige gerade recht, worin ein Kirchentechniker gesucht wurde. So steigt Vater Groß nun seit September 2002 in alle möglichen Glockentürme in seinem Einsatzgebiet. Das erstreckt sich über "die Postleitzahlen 5 und 6 mit angrenzendem Ausland". Der Neueinbau von Funkanlagen für Läutwerke zählt dabei genauso zu den Aufgaben wie das Einrichten von Glockenspielen und Uhren, die Wartung und eben die Reparatur von Glocken und ihrer Schaltmechanik. Sohn Kevin wird demnächst die Berufsschule besuchen und "auf jeden Fall ein Handwerk erlernen". Ob er Koch, Maler oder doch auch Kirchentechniker werden will, weiß der 16-jährige begeisterte Fußballer noch nicht genau. Aber seinem Vater geht er immer wieder gerne zur Hand. Die neuen Halterungen sind passend geschnitten. Jetzt müssen sie kräftig geölt und in U-Form eingebaut werden. Dann noch den Klöppel einhängen, die Bolzen befestigen - und die Glocke kann wieder zum Gebet rufen. Nach rund sechs Stunden und zweimaligem Probeläuten beenden die beiden Handwerker ihre Arbeit. In Pfalzel läuten an Heiligabend und Weihnachten alle vier Glocken mit sicher verankerten Klöppeln - im wahrsten Sinne des Wortes wie frisch geschmiert.

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