Verschütt’ gegangen und gestutzt

TRIER. Ein historisches Gebäude, das mehr als 900 Jahre auf dem Buckel hat und heute eine Anlaufstelle für "Ja-Sager" ist: Der mittelalterliche Turm Jerusalem im Hof der Palais Walderdorff, der seit 2000 die Trauzimmer des Standesamtes beherbergt, stand diesmal im Fokus des TV-Bilderrätsels.

Trier-Kenner dürften das Rätsel schon beim Auftakt am vergangenen Montag geknackt haben, und das nicht zuletzt wegen des Hinweises auf einen "nahen Verwandten" ganz in der Nähe, der in letzter Zeit von sich reden macht. Bei diesem Verwandten handelt es sich um den Frankenturm. Der steht nicht geografisch ganz in der Nähe (Dietrichstraße), sondern auch stadtgeschichtlich.Einstmals trutzige Wohngebäude

Beides sind mittelalterliche Wohntürme, die im Gegensatz zu rund einem Dutzend Artgenossen die Jahrhunderte überdauert haben und heute zu neuen Ehren kommen. Der Frankenturm wurde um das Jahr 1100 errichtet, der Turm Jerusalem entstand bereits einige Jahrzehnte früher. Beiden liegt das selbe Konzept zugrunde: Reiche Familienclans, die wohl in Diensten des Erzbischofs standen, errichteten ihn als im wahrsten Sinne des Wortes "festen Wohnsitz", der sich deutlich von der bis dahin üblichen Fachwerk-Bebauung abhob. Die wehrhaften Wohntürme dienten als Statussymbol (höher waren damals nur Kirchtürme) und boten Schutz bei Angriffe auf die offene Stadt Trier, die erst Generationen später ihre mittelalterliche Stadtmauer erhielt. Die Rekonstruktionszeichnung fertigte Nic Herber (Osweiler bei Echternach/Luxemburg) auf Grundlage der Ergebnisse von archäologischen Untersuchungen durch Lukas Clemens (Uni Trier) an. Clemens leitete 1998/99 die Landesmuseums-Grabungen im Bereich des Palais Walderdorff und gewann völlig neue Erkenntnisse über das älteste Gebäude des Berings. Clemens und sein Team entdeckten, dass der vermeintliche Keller das ursprüngliche Erdgeschoss des Turms Jerusalem ist. Der Schutt der Jahrhunderte hatte das Bodenniveau der Umgebung meterhoch auf das heutige Niveau ansteigen lassen. Das heutige Erdgeschoss beherbergte ursprünglich die Küche mit Kamin; eine steinerne Wendeltreppe führte bis zum dritten repräsentativen dritten Geschoss. Auf Höhe dieser "guten Stube" lag der Turmeingang, erreichbar über eine Holzstiege. Stockwerk vier beherbergte quasi das Wohnzimmer, darüber lag der Schlafraum. Errichtet wurde der Turm Jerusalem in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts aus recyceltem römischen Baumaterial. Bereits 1147/48 war er ziemlich marode und erhielt aus Anlass des Trier-Besuchs von Papst Eugen III. eine umfassende Runderneuerung. Ab dem 13. Jahrhundert diente er Dom-Geistlichen als Wohnsitz. Sein heutiger Name leitet sich von der einstigen Domkurie "Jerusalem" ab. Den Zinnenkranz besaß der Turm noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Die heutigen Fensteröffnungen stammen aus dem 18. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert kappte die preußische Regierung des oberste Geschoss. Aus jahrzehntelangem Schattendasein befreit

In den vergangenen Jahrzehnten führte der Turm Jerusalem ein Schattendasein. Erst die Generalsanierung des Palais Walderdorff durch die Nikolaus-Koch-Stiftung Ende der 90er-Jahre holte das bedeutende Mittelalter-Bauwerk aus seinem Schattendasein heraus und rückte es ins gebührende rechte Licht. Seit 2000 befinden sich hier die Trauzimmer des Trierer Standesamtes, die den Turm-Jerusalem zur "Anlaufstelle für Ja-Sager" machen. Die Namen der Rätsel-Gewinner nennen wir morgen in der Weihnachts-Ausgabe.

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