Vom Lieblingsfach zur Berufung

TRIER. Wen die Muse küsst: Universitätsprofessor Alfred Haverkamp hat sein Leben der Geschichtsforschung gewidmet. Sein Schwerpunkt "Mittelalterliche Geschichte" umfasst auch das einstige Leben der Trierer Juden und ihres Alltags.

Was bewegt einen Menschen, die eigene Nase in verstaubte Inschriften zu stecken, sich mit Ruinen auseinander zu setzen und schließlich das Erforschte und Geschlussfolgerte nach mühevoller Arbeit in einem Buch zu präsentieren - nur um es im tiefen Fundus einer Bibliothek quasi verschwinden zu sehen? "Neugierde auf den Menschen", antwortet Alfred Haverkamp, "Geschichte ist die lebendigste Wissenschaft, die es gibt. Sie ist die Möglichkeit, das Potenzial menschlicher Existenz in seiner gesamten Breite kennen zu lernen" Klio, der Muse der Geschichtsschreibung, ist der 1937 geborene Professor der Universität Trier bis heute verbunden geblieben - und das war schon zu Schulzeiten im Oldenburger Münsterland eine Leidenschaft, "mein Lieblingsfach", sagt Haverkamp. Heutzutage ist der Wissenschaftler Experte für die europäische Historie mit Schwerpunkten auf Italien und Deutschland, auch die Trierer Stadtgeschichte ist ihm ans Herz gewachsen. Besonderes Augenmerk richtet er auf die sozialen Aspekte: Statt Könige und Kaiser stehen einfache Bauern, Sklaven und Bürger im Mittelpunkt - und religiöse Minderheiten wie die Juden. Deren Geschichte im westlichen Europa hat Haverkamp mit etlichen Veröffentlichungen, etwa einem mehrbändigen Kartenwerk, festgehalten - letzteres ein als "epochal" gewürdigtes Standardwerk. Dass er sich mit dem Mittelalter im Besonderen beschäftige, sei seinem wichtigsten Lehrer an der Uni München zuzuschreiben, sagt Haverkamp. Die Epoche dürfe man sich nicht als "dunkles" Zeitalter vorstellen, die schlimmsten Verbrechen habe das 20. Jahrhundert hervorgebracht. Die Lebensbedingungen der damaligen Zeit seien aber von aktueller Bedeutung, weil der Nationalstaat langfristig wieder verschwinden werde. "Die Menschen mussten sich selbst organisieren, die Gemeinschaften standen im Mittelpunkt, so gab es auch viele, karitative Organisationen." Haverkamp ist seit 45 Jahren verheiratet, die gemeinsame Tochter ist ebenfalls Historikerin. Auf Freizeitinteressen angesprochen, nennt der Historiker zwar Literatur "im weitesten Sinne", Reisen und Ausstellungen - am Ende aber landet er doch wieder bei Jahreszahlen und Ereignissen. "Geschichte ist für mich ein Fulltimejob", sagt Haverkamp dazu mit einem Lächeln. Vor 36 Jahren war er Gründungsmitglied der Trierer Universität. Den Fachbereich III, an dem das Fach Geschichte angesiedelt ist, hat er auch als erster Dekan mit aufgebaut. Der Moselstadt ist der Historiker treu geblieben. Angebote für einen Wechsel an die Universitäten von Berlin, Frankfurt und Mainz hat er abgelehnt, 1988 war er als Gastprofessor an der Universität Jerusalem tätig. "Ich bin wegen des im Fach Geschichte vorherrschenden guten Klimas hier geblieben." Noch immer betreut der Wissenschaftler, seit Oktober vergangenen Jahres emeritiert, mehrere Forschungsprojekte sowie zwei Doktoranden aus Japan und Chile. Sein "Baby" bleibt das "Arye Maimon"-Institut - gegründet im Laufe der Forschung zur jüdischen Geschichte. Die Geschichte der Juden müsse als integraler Bestandteil der deutschen und europäischen Geschichte betrachtet werden, auch unter dem aktuellen Aspekt, wie man mit religiösen Differenzen umgehen soll, sagt Haverkamp. Er bedauert, dass die Zukunft des Instituts ungewiss sei. Sein Wunsch: ein Zentrum für Geschichte und Kultur der Juden in Trier - das Konzept dafür hat der Wissenschaftler schon vor Jahren ausgearbeitet.

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