Vom Petrisberg nach Nowosibirsk

Zum vierten Mal lud die Universität Barnaul in Russland deutsche Geografie-Studenten ein. Es ging zu einer ganz besonderen Sommerschule nach Südsibirien ins Altai-Gebirge. In diesem Jahr waren gleich vier "Geos" vom Petrisberg mit dabei.

Trier. Man nehme einen Diercke-Weltatlas und schlage ihn auf Seite 142/143, Blatt "Asien" auf. Dann lege man den Zeigfinger nach Deutschland auf die Stelle, wo bei einem Maßstab von 1:36 000 000 Trier liegen müsste. Nun fahre man langsam Richtung Osten über Warschau, Minsk, Moskau, überspringe den Ural mit einem kleinen Hüpfer, lasse weiter die Städte Jekaterinburg und Omsk zurück und halte nach gut 5000 Kilometern auf der Ortsmarke Nowosibirsk. In die Region südlich der sibirischen Großstadt weit jenseits von Europas Toren hatte es die vier Trierer Studenten Julia, Benjamin, Axel und Bastian verschlagen. Ziel der Reise im Rahmen einer Sommerschule, die der Deutsche Akademische Austauschdienst in Bonn alljährlich ausschreibt, war das Altai-Gebirge im Vierländereck Russland-China-Mongolei und Kasachstan. Wohlbehütete Fach-Exkursionen ins Ausland per modernem Reisebus oder D-Zug, Übernachtungen in Jugendherbergen und Pensionen - das hatten sie alle wenigstens einmal im Laufe ihres Studiums erlebt. Die Tour nach Russland roch da verlockend nach Nähe zur Natur, Selbstverantwortung und Begegnung mit fremden Kulturen. Während vier Tagen am geografischen Institut in Barnaul lernte man in speziellen Vorlesungen und Klein-Exkursionen ins Umland gemeinsam mit zehn anderen deutschen Studenten die wichtigsten geografischen Fakten über die Region. Die Stadt Barnaul selbst hatte dabei nur wenig Schönes, dafür umso mehr Schräges zu bieten. Auffällig so zum Beispiel die vielen öffentlichen, zweifellos alten deutschen Stadt-Busse aus den 80er Jahren mit dem Wort "Schulbus" in der Zielanzeige, schwarz auf rotem Grund. Im Seitenfenster ein verjährter Werbeaufkleber: "Sturmschaden? Ruf den Dachdeckermeister!" Per altem Sowjet-Truck mit Passagieraufbau ging es dann auf Abenteuerreise über die einzige große Hauptstraße ins Gebirge. Auf der Fahrt von Barnaul über die Vorgebirgsstädte Bijsk und Gorno-Altaisk in Richtung Südwesten nahmen die Dörfer entlang der Route stetig mongolischere Züge an: Zu den einfachen Blockhäusern mit Wellblechdächern gesellten sich mehr und mehr auch die zeltähnlichen Jurten, Vorgärten waren immer dichter mit Kartoffeln zu Selbstversorgung und Straßenverkauf bepflanzt. Hin und wieder Szenen tierischer Straßenblockaden wie in Irland, nur eben nicht durch Schafe, sondern von gemütlich über die Straße trottenden Kühe. Sogar ein besatteltes Kamel wurde erspäht. In einer Reihe von Tagestouren erwanderten die Studenten unter Leitung zweier Dozenten samt Dolmetscher wilde Gebirgslandschaften. Wunderschöne noch nie gesehene Blumen tragen dort botanische Namen, die auf "sibirica" oder "orientalis" enden. Nachts jagten Geräusche abstürzender Felsbrocken von den steilen Talflanken den Studenten eine Gänsehaut über den Rücken. Glitschige Geröllhalden, heikle Gletscherbach-Überquerungen über einen einfachen Baumstamm und ständige Temperaturwechsel von zu kalt nach zu heiß gehörten bald zum täglichen Brot der Gruppe. Aber die Anstrengungen des Tages wurden allabendlich belohnt: mit Lagerfeuerromantik, zunächst hart erlernten, dann gemeinsam gesungenen russischen Chansons und einem Sternenhimmel, der so im durch Nachtlicht verseuchten Europa niemals zu bestaunen ist. Die Wanderungen zu den Gletschern Aktru und Maaschejskij im Herzen des Gebirges waren Höhepunkte im fast vier Wochen umfassenden Programm der Sommerschule. Wer da je einen Russen in einfachen Straßenhalbschuhen über den Gletscher vorneweg hat laufen sehen, der kommt sich, eingepackt in High-Tech-Ausrüstung, ein bisschen lächerlich vor.

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