Vorne spielt die Band, hinten die Musik

TRIER. Sonntagmorgen, 3 Uhr. Es piepst und rauscht. Der müde Kopf ist zum Resonanzkörper geworden. Die Füße tun vom langen Stehen weh und alles stinkt nach Rauch. Wo kommt sie bloß her, diese Zufriedenheit? Eine Nacht beim "Bunker-bebt-Festival" im Exhaus.

Um 20.30 Uhr nimmt am Samstagabend das "Bunker-bebt-Festival" im Exhaus seinen beschaulichen Anfang. "Das nächste Stück, Ihr kennt es, ihr liebt es", brüllt der langhaarige Frontmann von "Scapegoat" in das dunkle, noch dünn besetzte Tonnengewölbe des Exils: "Panzerbrigade". Während kurz darauf immer mal wieder das Wörtchen "Menschenfleisch" durch's Metal-Getöse dringt, müssen die zwei Hände voll hartgesottener Fans beim Stagediving improvisieren - denn der Rest des Publikums steht so weit von der Bühne weg, dass sie selbst mit Anlauf einige Meter vor den ersten Händen auf den harten Boden der Tanzfläche aufschlagen würden. Stattdessen tragen sich die Jungs gegenseitig: acht unten, einer oben drauf, ein brüllendes haariges Knäuel, von der Bühne bis zur Theke und retour. Wieder an der Bühne angekommen, stützen sie sich zum Headbangen auf den Boxen auf, ihre fliegenden Haare berühren fast die Gitarrensaiten. Zur gleichen Zeit am anderen Ende des Kellers. "Fünf Millionen Zimmerpflanzen ist nur eine Zahl - und hinter jeder Zahl steckt ein Einzelschicksal", singt Sven von "Los Paul". Zimmerpflanzen, Arbeitslose - im "Schimmelkeller" gibt sich die Sozialkritik etwas freundlicher als nebenan. Sven scheint andere musikalische Vorbilder zu haben als die Jungs von "Scapegoat". Tocotronic, die Hamburger Schule und dadaistische Texte - das sei sein Ding, erzählt er später bei einem Bier. Deutsch-Pop, Metal, Blues, Punk, Indie-Rock oder Reggae, manche sind Profis, andere Hobby-Musiker - Das passt schon, wenn im Exhaus der "Bunker bebt". Der Erlös des Festivals fließt in den Trier-Norder Hochbunker. Dort sind die Proberäume der Bands. 700 Menschen laufen sechs Stunden lang zwischen drei Bühnen hin- und her und treffen unzählige alte Bekannte wieder, mit denen sie viel Bier trinken: Da sind alte Schulfreunde, Fußball-, Musiker- oder Arbeitskollegen, Kommilitonen, da sind die selben Nasen, die auch immer an den selben Theken sitzen, und all die vielen anderen, die man kennt, einfach nur so, weil man sich die Stadt teilt. Und zwischen all diesen Menschen stehen, wie von einem anderen Stern aus hingebeamt, zwei geschminkte Zweimetermänner in barocken Ballkleidern - sie haben kurz ihre eigene "Homosphère-Party" verlassen, um mal zu sehen, was im benachbarten Balkensaal passiert. Sanft wippen ihre Reifröcke im Takt der Musik. Auch das Publikum ist etwas reifer als jenes in den Kellern - den 40 sind im Balkensaal viele nah. Daran wird erst die Reggaeband "Chimezia" etwas ändern. Hin und her, ein großes Hallo, ein kleiner Flirt, "frohes Neues", "...und was treibst Du jetzt?" - Es herrscht ein fröhliches Wiedersehen in den Kellern zwischen "Nanny Goat", "Trinity", "sixnil", "The Crush", "Devastation" und "Fragments of the Behemoth". Kurz vor Mitternacht. Es dröhnt und quietscht. Im kleinen Exil bereitet die lauteste Band des Abends ihren Auftritt vor. "Moranes" spielen "Ramones" - am Mikrofon der Gastwirt einer Trierer Rockkneipe, an den Drums Jimi Berlin, Autor des Buches "Das Fett im Auge des Betrachters" und Sänger der reaktivierten "Flaming Toasters". Während vorne eine Horde haariger Jugendlicher wie wild gewordene Fraggles zu "Blitzkrieg Bop" Pogo tanzt, hat sich hinten ein Teil der Trierer Musikszene versammelt, um Zeuge dieses ungewöhnlichen Auftritts zu werden. Auch hier scheinen sich viele zu kennen."Chimezia" verhext den ganzen Saal

Mag es unten krachen, im Balkensaal bleibt es gediegen bei "Thick as a Brick", "Candy Apple Grey" und "Second Nature". "Colours of Blues" verhexen die Hüften der Zuhörer - sie scheinen einfach schwingen zu müssen - die Reggae-Band "Chimezia" verhext den ganzen Saal. Bis in die letzte Reihe tanzen die Leute. Nicht nur mit der Hüfte, sondern mit allem, was sie haben. "Nochmal von vorne", fordern sie, als "Chimezia" nach diversen Zugaben durstig die Bühne verlässt. 2.30 Uhr. Für die, die nach dem vielen Tanzen zu müde sind für die Gitarren der "Flaming Toasters" heißt es ab ins Bett - mit einem Piepsen in den Ohren und dem schönen Gefühl, nicht alleine zu sein im guten, alten Trier.

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